Die Allgegenwart des Todes ist ein merkwürdiges Paradoxon: Eigentlich wissen alle, dass sie einmal sterben werden, aber so richtig damit beschäftigen will sich niemand, zumindest in vielen westlichen Kulturen. Das Verdrängen oder gar Tabuisieren der eigenen Sterblichkeit macht das Leben hier für viele erst möglich.
Diesen Umstand stellt die amerikanische Schauspielerin Amy Seimetz nun in ihrer zweiten Spielfilm-Regiearbeit recht unorthodox zur Disposition. „She Dies Tomorrow“ ist eine Reflexion über die Sterblichkeit und der Frage, welchen Einfluss das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit darauf nimmt, wie wir die Zeit bis zum Tod verbringen wollen. Der Film setzt sehr abrupt bei einer Frau namens Amy ein. Sie ist gerade in ein neues Haus gezogen und verbringt die erste Nacht dort allein. Beim Stöbern durch die Umzugskartons wird sie melancholisch, packt ihren Plattenspieler aus und legt Mozarts „Requiem“ auf. Die sakrale Musik scheint sie in eine regelrechte Depression zu stürzen, sie beginnt zu trinken und ruft eine Freundin, Jane, an. „Ich werde morgen sterben“ sagt sie, das Leben mache für sie keinen Sinn mehr. Jane reagiert verunsichert, denn Amy ist trockene Alkoholikerin und scheinbar schon länger ein Sorgenkind. Vielleicht ist sie rückfällig geworden oder gar suizidal.
Wenn die Angst vor dem Tod um sich greift wie eine Epidemie
Seimetz verpackt diese Unsicherheit in kleinen Störungen des Gesprächsrhythmus, Kate Lyn Sheil als Amy und Jane Adams als Jane transportieren dieses gegenseitige Unbehagen in nuancenreichen Schwankungen von Stimmlage, Atmung und Intonation. Zwischen den beiden scheint es viel Unausgesprochenes zu geben, Kränkungen und Vorwürfe schweben in der Luft, zudem die Vorahnung, dass es bald zur Katastrophe kommen muss. „She Dies Tomorrow“ fühlt sich bisweilen wie ein Horrorfilm an, in dem das Grauen sich wie ein Nebel auf die Seele legt. Dieses Grauen überträgt sich dann auch schleichend auf Jane, die nach dem Telefonat im Pyjama das Haus verlässt und verstört auf der Geburtstagsparty ihrer Schwägerin auftaucht. Auch sie ist nun überzeugt davon, dass sie in den nächsten 24 Stunden sterben wird.
Die Angst vor dem Tod, so wird klar, ist in „She Dies Tomorrow“ eine sich rasant verbreitende Epidemie, die sich nicht aufhalten zu lassen scheint. In weiteren Miniaturen vollzieht Seimetz die Infektionskette nach und beobachtet die Reaktionen der neuen Patienten. Viele der Figuren werden in Momenten des Alleinseins von ihr überfallen. Auch Jane ist allein zuhause, hatte sich in den Keller zurückgezogen, wo sie eine Mischung aus Labor und Atelier eingerichtet hat und Mikroskopaufnahmen zu überdimensionierten Kunstwerken vergrößert. Diese merkwürdige Überlappung von Kunst und Wissenschaft, das Hin- und Herzoomen zwischen psychischem Mikrokosmos und metaphysischem Makrokosmos hallt in der gewissermaßen psychologischen Versuchsanordnung wider, in die Seimetz ihre Figuren setzt. Dabei geht es ihr weniger darum, zu klären, ob Amy der „Patient Zero“ ist, der die Epidemie ausgelöst hat. Vielmehr ist sie an der Hartnäckigkeit interessiert, mit der sich die Panik verbreitet.
In gewisser Weise ist „She Dies Tomorrow“ seelenverwandt mit den Filmen von Shane Carruth, vor allem mit dem psychedelisch-traumwandlerischen „Upstream Color“ (2013), in dem Seimetz in der Hauptrolle zu sehen war. Darin versucht Carruth, einer von ihrer Identität beraubten Frau mithilfe von assoziativen Entsprechungen auf der Bild- wie Tonebene eine neue Identität zusammenzusetzen und so auch hinter die Erzählungen ihres Ichs zu blicken. Seimetz verkehrt diese Herangehensweise nun in ihr Gegenteil und fragt, was von alldem angesichts des Wissens um den eigenen Tod bleibt. „She Dies Tomorrow“ ist ein im besten Sinne unangenehmer Film, denn er weigert sich, die Fragestellung aufzulösen – zu verallgemeinernd würde die Antwort ausfallen. Doch nimmt er gerade wegen seiner existenzialistischen Grundhaltung und der Unvermitteltheit seiner Prämisse auch beinahe tröstliche Perspektiven ein. Angesichts des Todes verschwimmen Heute und Morgen auf bizarre Art und Weise miteinander. Der unbestimmte Zeitpunkt, zu dem man sich unwillkürlich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen muss, ist hier einfach schon da.