Nur ein einziges Leben

Drama | Großbritannien/Belgien 2020 | 105 Minuten

Regie: Ben Cookson

In einem Bergdorf in den Pyrenäen der frühen 1940er stößt ein Hirtenjunge auf einen jüdischen Flüchtling, der den Nazis im besetzten Frankreich entkommen ist; nun harrt er seiner verschollenen Tochter und hilft derweil anderen jüdischen Kindern über die spanische Grenze. Der Junge solidarisiert sich mit dieser Mission, was höchst gefährlich wird, als ein Trupp deutscher Soldaten im Dorf stationiert wird. Der Film entfaltet sich zunächst als Coming-of-Age-Abenteuer, schafft dank interessanter Figurenzeichnungen aber einen Brückenschlag hin zu einem Historiendrama, das die anvisierte junge Zielgruppe zum Nachdenken über den Krieg im Allgemeinen und den Holocaust im Besonderen anregt. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
WAITING FOR ANYA
Produktionsland
Großbritannien/Belgien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Artémis Prod./Fourth Culture Films
Regie
Ben Cookson
Buch
Toby Torlesse · Ben Cookson
Kamera
Gerry Vasbenter
Musik
James Seymour Brett
Schnitt
Chris Gill
Darsteller
Noah Schnapp (Jo) · Jean Reno (Jos Großvater) · Elsa Zylberstein (Jos Mutter) · Anjelica Huston (Witwe Horcada) · Thomas Kretschmann (Deutscher Korporal)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Drama | Kriegsfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

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Coming-of-Age-Abenteuer und Holocaust-Drama: Ein Hirtenjunge in den Pyrenäen hilft während der NS-Zeit, jüdische Kinder außer Landes zu schmuggeln.

Diskussion

"Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt": Der deutsche Titel von Ben Cooksons Drama sucht die Nähe zu dem Talmudspruch, den man seit Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ mit dem Juden-Retter Oskar Schindler assoziiert. Der auf einem Jugendroman von Michael Morpurgo beruhende Film würdigt in fiktionalisierter Form französische Widerständler, die nach der Okkupation des Landes durch Hitlerdeutschland ihr Leben riskierten, um Juden über die Grenzen ins Ausland zu schmuggeln. Im Fokus steht ein Hirtenjunge aus den Pyrenäen – als Identifikationsfigur fürs jugendliche Publikum, auf das der Film abzielt.

Ein Hirtenjunge wird zum Lebensretter

Im Jahr 1942 lebt Jo (Noah Schnapp) mit Mutter, Schwester und Großvater in einem Bergdorf und hütet die Schafe der Familie, während der Vater in deutscher Kriegsgefangenschaft schmachtet. Eines Tages begegnet der Teenager im Wald einem Fremden (Frederick Schmidt) und findet bald heraus, dass der Mann namens Benjamin ein jüdischer Flüchtling ist, der seine Tochter Anya und sich selbst mit knapper Not vor der Deportation retten konnte, zu dem Preis, dass er und das Kind getrennt wurden – nun versteckt er sich auf dem abgelegenen Hof seiner Schwiegermutter Horcada (Anjelica Houston). Er hofft, dass sich auch die Kleine dorthin durchschlagen wird, und schmuggelt unterdessen andere jüdische Kinder, die auf dem Hof Zuflucht finden, über die Grenze nach Spanien. Jo solidarisiert sich mit dieser Mission: Er liefert Horcada Lebensmittel aus dem Dorf und warnt die Witwe und Benjamin rechtzeitig vor Gefahren. Und die lassen nicht lange auf sich warten: Ein Trupp deutscher Soldaten wird im Ort stationiert und patrouilliert regelmäßig in den Bergen. Benjamin und den Kindern ist damit der Weg versperrt; nun gilt es auszuharren und auf eine neue Chance zu warten. Und mit jedem Tag wächst die Gefahr, dass die Deutschen Verdacht schöpfen.

Zwischen mainstreamigem Coming-of-Age-Abenteuer und Holocaust-Drama

Angemessen vom Holocaust zu erzählen ist immer die Quadratur des Kreises, besonders aber im Kinder- und Jugendfilm, wo es die Balance zu finden gilt zwischen der Aufrichtigkeit gegenüber dem Sujet und dem, was dem jungen Publikum zumutbar ist. Mit seinen pastoral-pittoresken Szenerien, einer betulichen Off-Erzählerstimme des alten Jo, die rückblickend wie ein Märchenonkel in das Geschehen einführt, und einem internationalen Star-Cast, das eher das Flair von Hollywood als den Anschein von Authentizität erweckt (neben dem aus „Stranger Things“ bekannten Noah Schnapp und Anjelica Houston tummeln sich bekannte Gesichter wie Jean Reno als Jos Großvater und Thomas Kretschmann als deutscher Soldat) tendiert „Nur ein einziges Leben“ zunächst allzu stark auf die weichgespülte Seite.

Im Lauf der Handlung gelingt aber doch ein Brückenschlag zwischen mainstreamigem Coming-of-Age-Abenteuer und einem Historiendrama, das die Zielgruppe zum Nachdenken über den Krieg im Allgemeinen und die Shoah und Antisemitismus im Besonderen motiviert. Letzteres insbesondere, weil der Film an den Schluss kein erleichterndes Happy End setzt und davor weniger auf das Action-Potenzial fokussiert (die eigentliche Flucht wird recht dezent abgehandelt), sondern aus Jos Perspektive den psychischen Druck fühlbar macht, den die Besatzungs- und Verfolgungssituation schafft. Im Zentrum steht das Ringen des Jungen um humanes Handeln in einer extremen Situation, in der rassistisch und nationalistisch motivierter Hass tiefe Gräben gerissen hat und ständig die Drohung von Gewalt in der Luft liegt.

Die Suche nach dem richtigen Weg in einer verkehrten Zeit

Eine wichtige Rolle spielt Jos Verhältnis zu erwachsenen Männern wie Benjamin oder seinem Großvater, an deren Vorbildern er sich orientiert bzw. reibt. Am interessantesten darunter ist ein deutscher Korporal (Kretschmann), der die Freundschaft des Jungen sucht, zermürbt durch die Trennung von seiner eigenen Familie, und dem Jo mit einer ambivalenten Mischung aus wachsender Sympathie und Misstrauen begegnet. Die Figur hat nichts mit den sadistischen Nazi-Monstern zu tun, die man sonst oft im Mainstreamkino findet, und gibt gerade dadurch, dass sie kein Bösewicht ist, einen interessanten Antagonisten ab: Weil über diesen Mann, der gut handeln will, es auch tut, wenn es ihn nichts kostet, und untätig bleibt, als Jo seine Intervention schließlich verzweifelt braucht, erzählt wird, dass es eben nicht die einzelnen Schurken sind, die dem Bösen zum Sieg verhelfen, sondern die vielen normalen Menschen, die es, wenn auch widerwillig, mittragen.

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