Dokumentarfilm | USA 2021 | 209 (7 Folgen) Minuten

Regie: Martin Scorsese

Siebenteilige Miniserie, in der Regisseur Martin Scorsese die New Yorker Autorin und Flaneurin Fran Lebowitz porträtiert. Neben ausgiebigen Gesprächen der beiden werden auch Interviews von anderen mit Lebowitz ein, die seit einem halben Jahrhundert in der Stadt lebt. Lebowitz präsentiert sich als geistreiche, ungemein witzige Kommentatorin des großstädtischen Lebens, die zu ziemlich jedem Thema eine Meinung vertritt, was die Serie höchst unterhaltsam macht. Ihren Freund und Interviewpartner Scorsese, der das Porträt mit zahllosen Trouvaillen aus der Film- und Fernsehgeschichte auflockert, drängt sie dabei glatt an den Rand. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PRETEND IT'S A CITY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Regie
Martin Scorsese
Kamera
Ellen Kuras
Schnitt
David Tedeschi · Damian Rodriguez
Länge
209 (7 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Serie

New York aus der Perspektive einer scharfzüngig-sardonischen Erzählerin. Eine siebenteilige Miniserie, in der Regisseur Martin Scorsese die Autorin und Flaneurin Fran Lebowitz porträtiert.

Diskussion

Pretend it’s a City! Das rät Fran Lebowitz genervt all jenen Menschen, die auf dem Zebrastreifen orientierungslos auf ihr Smartphone starren. „Tun sie so, als wäre es eine Stadt“ – also ein Ort, an dem sich auch noch andere Menschen aufhalten, deren Fortkommen man nicht ohne Not behindern sollte. Ihr Freund Martin Scorsese, der in New York City einst „Mean Streets“ (1973) gedreht hat, ist mit Lebowitz durch ihr gemeinsames Habitat gestreift – und hat sie für die sieben Folgen der Miniserie „Pretend It’s a City“ interviewt. Hat ihr Stichworte souffliert und Gespräche zwischen ihr und anderen Interviewpartnern aus den Archiven geborgen.

Mit einer Flaneurin ihre Stadt New York erkunden

Während hierzulande die meisten den Namen von Martin Scorsese kennen, dürfte der von Fran Lebowitz eher weniger Menschen ein Begriff sein. Es fällt schwer, die Autorin zu beschreiben. Nicht optisch, denn sie ist eine maximal burschikose Erscheinung, breitschultrig, mit einer Lockenbetonfrisur, ein wenig furchteinflößend. Ein Mensch wie eine Trutzburg. Aber sie ist schwer einzuordnen. Man könnte sie als Flaneurin bezeichnen. Die Kamera von Ellen Kuras fängt sie immer wieder dabei ein, wie sie raumgreifend durch die Häuserschluchten von Manhattan stolziert. Das tut sie schon, seit Fran Lebowitz Anfang der 1970er-Jahre dort ankam. Inzwischen ist sie, die schon mit Anfang 20 für Andy Warhols Magazin „Interview“ schrieb und mit dem Jazzmusiker Charlie Mingus befreundet war, eine lokale Berühmtheit. Seit den 1990er-Jahren schreibt sie für die „Vanity Fair“, und fast ebenso lang an einem Roman.

Ihre Komik entfaltet sich aus der Beobachtung banaler Alltäglichkeiten und Ärgernisse – und aus der ungebrochenen Bereitschaft, sich in diese immer weiter hineinzusteigern. Sie erzählt von ihrer Zeit als Taxifahrerin, ihrer Wertschätzung für die #MeToo-Bewegung, aber auch banalere Dinge; mal geht es um Bücher (sie hat Zehntausend davon), mal um Sport (überhaupt nicht so ihrs), ob die Verteilung von Talent Gesetzmäßigkeiten folgt (nein) und warum die neuen Wolkenkratzer in Manhattan so hässlich sind (weil New York nun die Golfstaaten kopiert, die zuvor New York kopiert haben).

Die Tücken des urbanen Lebens

Zu den unzähligen Themen, an denen man sich in Zeiten des Corona-Lockdowns ausführlich abarbeitet, gehören Lebens- und Wohnbedingungen und auch das Pro und Contra für das Leben in der Stadt oder auf dem Land. Das Land steht für die Natur und was davon übrigblieb, die Stadt für Austausch, für kulturelle Angebote und Vielfalt, für unverhoffte Begegnungen. Aber auch dafür, mit einer Menge anderer Menschen auf engem Raum zu leben und einander in die Quere zu kommen, was das Leben in New York derzeit angesichts des Social-Distancing-Gebots so kompliziert macht. Das öffentliche Leben liegt darnieder. Kinos, Buchhandlungen, Bars. Alles, was das urbane Leben gesellschaftlich verschönert, ist auf unbestimmte Zeit suspendiert.

„Pretend It’s a City“ wirkt da fast etwas nostalgisch, lässt die Serie doch über die normalen Tücken einer großen Stadt nachgrübeln. Warum haben die Menschen verlernt, rücksichtsvoll durch die Stadt zu streifen? Fran Lebowitz, die weder Mobiltelefon noch Computer besitzt, fällt so etwas natürlich auf.

Der stille Star: Martin Scorsese

Der stille Star der Serie ist der zurückgenommene Regisseur Martin Scorsese, der mit Lebowitz über ein riesiges Modell von New York spaziert und zu jedem Thema eine Trouvaille aus der Fernsehgeschichte beisteuert – Duke Ellington im Plausch mit Leonard Bernstein, die Duck-and-Cover-Zeichentrickspots aus den 1950er-Jahren, die Kinder auf den Atomkrieg vorbereiteten. Der Regisseur und seine Protagonistin sind befreundet. Beim Betrachten fragt man sich allerdings, wie diese Freundschaft funktioniert. Lebowitz scheint Scorsese mit ihrer Präsenz zu erdrücken. Ihre Selbstinszenierung bewahrt sie davor, persönlicher zu werden. Sie kann wahnsinnig geistreich lästern, über Eltern von heute und ihre Art, Kinder zu erziehen („Wir mussten draußen spielen, weil unsere Eltern uns aus dem Haus haben wollten“). Wie beschwerlich es sei, in New York auch nur den Alltag zu bewältigen. Sie erzählt und nimmt Scorseses gelegentliche Einwürfe, der sich oft vor Lachen schüttelt, kaum zur Kenntnis.

Lebowitz’ Monologe erinnern in den besten Momenten an die 1990er-Sitcom „Seinfeld“ über einen Komiker und seine Freunde. Der misanthropische Witz mit skeptischer Haltung zur Welt und ihren Bewohnern ist auch Fran Lebowitz zu eigen, und es scheint egal zu sein, ob man es nun jüdischen Humor nennt oder ob es sich um eine spezifische New Yorker Variation davon handelt. Die Realität speist sich aus dem scheinbar Banalen. Auch in New York. Gerade dort.

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