Abel (Louis Garrel) wähnt sich in einer ziemlich guten Beziehung. Fast drei Jahre lebt der Student schon mit der schönen Marianne (Laetitia Casta) in ihrer Wohnung zusammen. Alles scheint stabil und vielversprechend zu sein. Bis Marianne fragt: „Hast du kurz Zeit?“, und ihm dann aus heiterem Himmel eröffnet, wie es wirklich um ihre Beziehung bestellt ist. Sie erwartet ein Kind, allerdings nicht von Abel, sondern von dessen Freund Paul, mit dem sie seit mehr als einem Jahr eine Affäre hat. Seine Familie wisse auch schon Bescheid und bestehe auf einer Heirat. Auch sie wolle möglichst schnell geordnete Verhältnisse. Für Abel bedeute dies, dass er so rasch wie möglich ausziehen müsse, schließlich sei die Hochzeit schon in zehn Tagen. Spricht’s, hilft ihrem Freund noch in die Jacke und drängt ihn sanft, aber unmissverständlich aus der Wohnung.
Auf den Spuren von Antoine Doinel
Derart überrumpelt und von anderen in eine unbekannte Richtung gestoßen zu werden, widerfährt Abel des Öfteren in Louis Garrels zweiter Regiearbeit „Ein Mann zum Verlieben“. Abel trägt dies jedoch stets mit Fassung und findet in seinen Kommentaren aus dem Off sogar viel Gutes an solchen plötzlichen Schnitten in seinem Liebes- und Beziehungsleben. Louis Garrel spielt die Rolle selbst und ruft dabei bewusst auch die Erinnerung an Jean-Pierre Léaud in den François-Truffaut-Filmen um den vergleichsweise von einem Pol zum nächsten treibenden Antoine Doinel wach. Abgeschaut hat Garrel sich einiges auch bei den Arbeiten seines Vaters Philippe Garrel, etwa die bewusst einfach gehaltene Handlung mit wenigen Figuren, die Liebe und ihre Philosophie als Hauptthema, der Verzicht auf überdramatische Kunstgriffe und Nouvelle-Vague-Anleihen wie Pariser Straßenszenen und ein dezentes Spiel mit Filmzitaten und Stilmitteln.
Wo Philippe Garrel aber stets auf Ernst und Melancholie der Liebe und ihrer Auswirkungen auf Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen hinauswill, legt sein Sohn Louis seinen Film betont leichter gestimmt und mit stets zumindest unterschwelligem Humor an. Nach der Einstiegsszene überspringt „Ein Mann zum Verlieben“ einige Jahre und setzt bei der Beerdigung von Abels Nebenbuhler Paul wieder ein. Paul ist unerwartet im Schlaf gestorben, doch Abel interessiert weniger der Tote als vielmehr die Witwe Marianne. Nach der Zeremonie fährt er sie und ihren Sohn Joseph nach Hause. Nur wenige Wochen später kommt es zur ersten Verabredung des früheren Paares; eine Wiedervereinigung der beiden scheint in greifbarer Nähe.
„Dann ist Krieg!“
Doch ganz so geradlinig laufen die Dinge dann doch nicht in „Ein Mann zum Verlieben“: Zuerst ist da Joseph, der bei Abel den Verdacht weckt, dass Marianne seinen Vater vergiftet habe, und der den wiedergekehrten Freund seiner Mutter offen als unerwünschten Konkurrenten behandelt. Aber auch von einer anderen Seite verkompliziert sich die Situation, als Pauls jüngere Schwester Ève (Lily-Rose Depp) sich in die Verhältnisse hineindrängt. Schon als Jugendliche war sie in Abel verliebt und meint nun, lange genug gewartet zu haben. Offensiv fordert sie ihr „Recht“ ein, ihn an sie abzutreten. „Und was, wenn nicht?“, hakt Marianne nach. „Dann ist Krieg!“, versetzt Ève, ganz die Anhängerin wild-romantischer Wortwahl. Ihre Impulsivität bedeutet für Abel die nächste Überforderung, umso mehr, als Marianne der Sinn nicht nach einem offenen Kampf um ihn zu stehen scheint.
Louis Garrel und sein Co-Drehbuchautor Jean-Claude Carrière führen konventionelle Erwartungen an dramatische Zuspitzungen und erzählerische Signale konsequent in die Irre. Die Kriminalspur scheint zwar zuerst eine Deutung Mariannes als "femme fatale" nahezulegen, doch werden sogleich wieder Zweifel gestreut, als ihr Sohn sein Faible für Krimis verrät. Joseph ist es auch, der Ève bei ihrem Eroberungsfeldzug um Abel zu Hilfe kommt, indem er ihr belastendes Material über seine Mutter liefert, doch ist auch dieser Verschwörungskniff nicht auf einen dauerhaften Umschwung der Handlung angelegt. Bestimmend ist das taktische Vorgehen der beiden Frauen, die den aktiven Part in ihren Liebesverhältnissen einnehmen, während Abel nur bleibt, sich ihren Wünschen anzupassen – auch in den Fällen, in denen er gar kein Teil (mehr) davon ist.
Drei Perspektiven aus dem Off
Doch auch wenn „Ein Mann zum Verlieben“ sich tendenziell der filmischen Verbindlichkeit entzieht, spielen Garrel und Carrière letztlich ein faires Spiel mit dem Zuschauer. Dafür sorgt schon der ausführliche Gebrauch von Off-Erzählern, von denen es in dem Film gleich drei gibt: Neben Abel melden sich auch Marianne und Ève zu Wort und legen ihre Perspektive dar, sodass der Überblick über das zunehmend komplexe Geschehen gewahrt bleibt. Weltbewegenden Anspruch besitzt dies zwar nicht, doch verbirgt Garrel auch gar nicht, dass der Charakter einer leichten Fingerübung mit amüsanten, tragikomischen und auch ernsten Elementen genau seine Absicht war. So sympathisch wie unprätentiös genügt ihm die Liebe in all ihrer Unberechenbarkeit und ihren unvereinbaren Verästelungen als Stoff vollkommen.