Sie hatte einen Traum. Von einer Autofahrt. Behauptet sie zumindest. Auf die Frage, ob die Fahrt schön gewesen sei, weiß sie jedoch keine Antwort. Sie ist eben nur ein Prototyp, mit dem man Geduld haben muss, weil er noch nicht ausgereift ist. George (Theo James) mag seinen kastenförmigen Roboter J2 trotzdem gerne. Schon deshalb, weil ihn J2 seinem Traum ein Stück nähergebracht hat. Der Programmierer will die perfekte Maschine erschaffen. Eine Künstliche Intelligenz, die innerlich wie äußerlich seiner großen Liebe (Stacey Martin) nachempfunden ist.
Das bild- und tongewaltige Regiedebüt von Gavin Rothery auf den Spuren von Roboter-Filmen wie „Ex Machina“ setzt durch seine Atmosphäre von Anfang an ein Ausrufezeichen. Die Kamera schwebt über verschneite Wälder, bis sie bei einem Forschungszentrum auf dem Gipfel eines Berges über einem kleinen Wasserfall Halt macht. Hier ist alles eckig und kantig und erinnert mehr an einen Hangar aus einem „Star Wars“-Film als ein stylisches Labor.
Ein Hauch von „Frankenstein“ weht durch den Film
Genau so sehen auch die ersten Roboter aus, mit denen George hier hantiert. Es sind große, unmodern wirkende Kästen, die sich aber in einem Punkt von allen bekannten Maschinen unterscheiden: Sie scheinen Gefühle zu besitzen. Sanft berührt J2 sein Vorgängermodell J1 mit dem Arm, um die „Schwester‟ zu trösten. Traurig zieht sich J2 zum Wasserfall zurück, wenn sie sich von George vernachlässigt fühlt. Ja, diese Maschine hat echte Gefühle; man kann sogar mit ihr mitfühlen. J2 bewegt sich intellektuell auf dem Stand einer Teenagerin und ist eifersüchtig, weil George sich in letzter Zeit nur noch um den neuen Prototyp kümmert. Um J3, die humanoid aussieht und eine neue Stufe der Entwicklung darstellt.
Äußere Umstände treiben die Handlung des weitgehend als Kammerspiel angelegten Ein-Personen-Stücks voran. George, dessen Gesicht von Narben gezeichnet ist, verschweigt seiner Auftraggeberin die Fortschritte seiner Arbeiten. Was nicht gerade für Begeisterung sorgt. Er hat nicht mehr viel Zeit, bis das Labor geschlossen wird. Gleichzeitig aber besuchen ihn merkwürdige Personen, die nach dem Rechten sehen wollen. Ihr Interesse gilt vor allem dem digitalen Archiv, das sich in dem Labor befindet – und das quasi die Persönlichkeit eines verstorbenen Menschen für eine sehr begrenzte Zeit konserviert.
Eine obsessive Liebe
Trotz des markanten futuristischen Settings, bei dem man Rotherys Erfahrungen in den Effekt- und Design-Abteilungen bei Filmen wie „Moon“ spürt, ist „Archive‟ über weite Strecken vor allem ein Psychodrama und erzählt über Schuldgefühle und eine geradezu obsessive Liebe. Jene ist es, die zu den spannendsten Situationen führt. Was bedeuten George J1 und J2 – und wie weit würde er gehen, um diese für die Weiterarbeit an J3 zu opfern? Wie vertretbar ist es generell, eine denkende Maschine zu bauen, um seine eigenen Interessen zu befriedigen? Ein Hauch von Frankenstein weht durch Rotherys „Archive“, der sich mit einer grandiosen Szene vor der Eröffnungssequenz des philosophischen Anime-Klassikers „Ghost in the Shell‟ von Mamoru Oshii verneigt. Der Film beschäftigt sich spielerisch mit den Irrwegen der Liebe, konfrontiert aber auch mit (analoger wie digitaler) Vergänglichkeit und der Angst vor dem Abschiednehmen. Androiden mögen hier zwar nicht von elektrischen Schafen träumen, wohl aber von der Sehnsucht nach Nähe, bedingungsloser Liebe und personaler Einzigartigkeit.