Man muss das, was in „Stage Mother“ passiert, nicht realistisch finden. Auch die Art und Weise, wie sich die Charaktere benehmen, muss man dem Drehbuch nicht glauben, ebenso wenig wie einige plötzliche Wendungen. „Stage Mother“ versteht sich als „Feelgood-Movie“, das angenehm unterhalten und niemandem wehtun will. Dabei beginnt es mit einem unerwarteten Todesfall.
Als Maybelline, eine lebenstüchtige und nicht auf den Mund gefallene Rentnerin aus einem Provinzkaff in Texas, an diesem Tag den Kirchenchor leitet, wird sie ans Telefon gerufen: Ihr Sohn Ricky ist gestorben. Kurzentschlossen fliegt Maybelline zur Beerdigung nach San Francisco, zum Unwillen ihres strengen und verstockten Mannes. Ricky war nämlich nicht nur schwul, sondern auch eine Drag Queen mit eigenem Club, der Pandora’s Box. Seine Eltern haben schon vor Jahren mit ihm gebrochen.
Der Mann im fernen Texas schmollt
Von der Trauerfeier mit singenden Transvestiten ist Maybelline nicht sehr beeindruckt. Doch dann taucht sie abends in der Pandora’s Box auf und lernt Nathan kennen, den verbitterten Liebhaber ihres Sohnes. Nathan steht vor dem Ruin, weil er die finanziell angeschlagene Bar nicht übernehmen darf. Denn Maybelline ist die rechtmäßige Erbin, und sie hat schon einige Ideen, wie sie die Show aufpeppen könnte: Kein Playback mehr, dafür Mikrofone. Maybelline bleibt in San Francisco, während ihr Mann im fernen Texas schmollt.
Das ist zu schön, um wahr zu sein. Eine alte Frau lässt alle Vorurteile hinter sich und geht mit Lebenstüchtigkeit und gesundem Menschenverstand die Probleme an, die sich ihr in den Weg stellen. Ob ein Kirchenchor in der texanischen Provinz oder eine Travestieshow in der kalifornischen Großstadt – für die tatkräftige Maybelline macht das keinen Unterschied: „Ich bin die Leiterin eines Südstaaten-Baptistenchores: andere Lieder, dieselben Diven.“ Damit wird sie ungewollt zum Schutzengel der Jungs, egal ob sie den einen von den Drogen befreit oder den anderen mit seiner entfremdeten Mutter versöhnt (etwas, was ihr selbst nicht vergönnt war).
Die Choreografien nehmen Fahrt auf
Einmal vertreibt sie den gewalttätigen One-Night-Stand ihrer neuen Freundin Sienna (Lucy Liu), bei der sie in San Francisco Unterschlupf gefunden hat, sogar mit gezückter Pistole. „Stop! Oder meine Mami schießt“, denkt man unwillkürlich, doch ganz so platt wie in der Sylvester-Stallone-Komödie von 1992 geht es hier nicht zu. Regisseur Thom Fitzgerald und sein Autor Brad Henning unterhalten gelegentlich mit witzigen Onelinern und fröhlicher Situationskomik, auch wenn die vielen Nebenstränge der Handlung zu sehr vom eigentlichen Thema ablenken oder – wie der Transvestit, der sich vergeblich von seiner Frau scheiden lassen will – im Sande verlaufen.
Während zu Beginn des Films die Travestie-Shows eher lausig choreographiert sind, nehmen sie zum Ende hin immer mehr Fahrt auf, inklusive einer anrührenden Hommage an Ricky zu Bonnie Tylers „Total Eclipse of the Heart“. Immer lustvoller jonglieren die Filmemacher mit den Klischees – bis man sich als Zuschauer dazu verführt fühlt, dem Ganzen vorbehaltlos zu applaudieren.
Zugegeben: Jackie Weaver ist als Maybelline mit ihrer hohen Stimme, dem deftigen Südstaatenakzent und der biederen Erscheinung ein Original. Doch dass sie ohne mit der Wimper zu zucken die Drag-Szene mit ihren Drogen-, Alltags-, und Beziehungsproblemen akzeptiert und sich dann noch die Bewandtnis eines Glory Hole erklären lässt, ist dann noch zu weit hergeholt. „Stage Mother“ ist ein Märchen. Die Wirklichkeit bleibt außen vor.