Für einen gelungenen Geburtstag verlässt man sich am besten nicht auf andere. Jubilarin Andréa (Catherine Deneuve) steht bereits am Morgen mit in der Küche und dirigiert ihre Familie, nicht von den erprobten Rezepten abzuweichen; draußen lässt sie vom bereits gedeckten Tisch noch einmal alles Geschirr herunternehmen, um eine Tischdecke auszubreiten. Dass Ehemann Jean (Alain Artur) sich mit den Saucen besondere Mühe gibt, kommentiert sie mit mildem Spott, seine Prognose eines Regenschauers weist sie mit einem Lachen von sich, doch steckt dahinter erkennbar ebenso wenig böse Absicht wie im Umgang mit ihrem Künstlersohn Romain (Vincent Macaigne). Dieser fühlt sich mit seinen Experimentalfilmen von seiner Familie nicht ernst genommen und lässt diese so schon lange nicht mehr an seiner Arbeit teilhaben. Zumindest bis zu diesem Tag, denn Romain erscheint mit einer Kamera, um das Geburtstagsfest zu filmen. Er habe einen Auftrag übernommen, Archivbilder einer Familie abzuliefern, begründet er gegenüber seinem skeptischen Bruder Vincent diese Dokumentation ihrer privaten Feier, „und da habe ich gedacht, ich kann auch die eigene nehmen“.
Wenn sich das Drama in die heitere Sommerstimmung einschleicht
Romains Kamera ist fortan stets präsent bei den Szenen, die sich an diesem Tag in der bürgerlichen französischen Villa abspielen, doch rückt Regisseur Cédric Kahn sie nicht in den Vordergrund und zeigt die Ereignisse auch nie aus ihrer Perspektive. Dennoch wird an ihre Gegenwart so regelmäßig erinnert, dass „Die Familienfeier“ durchweg die Frage aufwirft, wer sich hier tatsächlich ungezwungen verhält und wer wohl im Bewusstsein der Kamera sein normales Verhalten abändert. Insbesondere scheint dies für Vincent zu gelten, den die Aufzeichnung intimer Vertraulichkeit stört, ebenso aber für Romain, der den Rest der Familie in ihm genehme Richtungen treiben will, um seinem Film mehr dramatische „Würze“ zu geben. So streut er gezielte Provokationen, einmal fordert er die Familie auch auf, eine „Szene“ noch einmal mit mehr „Überzeugungskraft“ zu wiederholen.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich freilich längst das Drama in die – trotz zwischenzeitlich doch erfolgtem Platzregen – heitere Sommerstimmung eingeschlichen: Andréas ältestes Kind, die psychisch labile Claire, ist nach drei Jahren Funkstille zur Feier wiederaufgetaucht und sorgt sofort wieder für Unruhe. Denn Claire sieht sich von ihrer Familie übervorteilt, die einst mit dem Erbe von ihrem Vater, dem ersten Mann von Andréa, das schöne Grundstück kaufte. Am Familientisch gibt es deshalb den ersten offenen Streit des Tages, später holt Claire einen Makler ins Haus, der dessen jetzigen Wert schätzen soll. Die Zeichen deuten mehr und mehr auf eine unausweichliche Eskalation hin.
Catherine Deneuve und der Rest des Ensembles präsentieren vielschichtige, glaubwürdige Figuren
Alles andere wäre in einem Film über ein Familientreffen anlässlich eines Festtags auch eine Überraschung, wo eine lange Reihe von Vorgängern die Reibung zwischen ernsthaft oder auch nur gespielt feierlicher Stimmung und unterdrückten Geheimnissen, Lügen und Animositäten als obligatorisches Motiv etabliert hat. Unerwartet ist in Cédric Kahns Film zunächst etwas anderes: Es gibt kein einzelnes Familienmitglied, dem die Schuld an den Miseren der anderen zugeschoben werden kann, keinen böswilligen Sprössling, kein Vater-Monster wie etwa in Thomas Vinterbergs „Das Fest“ und schon gar kein mütterliches Pendant dazu. Catherine Deneuves Matriarchin Andréa ist keine boshafte „Giftspritze“, wie sie etwa Bette Davis in dem gleichnamigen Klassiker der Gattung (1968) verkörperte, und sucht stets den Ausgleich zwischen ihren Kindern herzustellen, ohne deswegen harmonieselig zu wirken. Die drei Geschwister haben ihrerseits alle auch unsympathischere Züge, doch keiner verdient sich das Prädikat eines „schwarzen Schafes“: Claire ist in ihrem Egozentrismus und in ihren Ausfällen zwar die anstrengendste der drei, aber auch die bedauernswerteste, Vincent etwas zu sehr in seine Geschäfte vertieft, dabei aber kein übler Kerl, und Romain zwar ein Künstlertyp mit fragwürdigen Methoden, offensichtlich aber auch sehr erfahren mit Kränkungen.
Da sich die Charaktere bei Cédric Kahn zum Ende des Films weder gegenseitig zerfleischt haben noch einander in den Armen liegen, ist „Die Familienfeier“ keine versöhnliche Bekräftigung, dass die Familie am Ende doch das beste aller schlechten Systeme ist, genauso wenig stehen hier aber bourgeoise Lebensformen per se am Pranger. Nah an den individuellen Figuren entwickelt, interessieren Kahn als Regisseur und Drehbuchautor vor allem die kleinen Empfindlichkeiten, die unter Druck in große Gefühlsausbrüche münden können. Dementsprechend haben vor allem die Darsteller von Andréas Kindern – Emmanuelle Bercot, Vincent Macaigne und Cédric Kahn selbst – auch die Gelegenheit zu großen Auftritten.
Dank dieser Figurenaufstellung entgeht „Die Familienfeier“ vielen Klischees filmischer Familientreffen, auch wenn das bürgerliche Milieu und dessen Zeichen des Wohlstands auch hier die Mise-en-Scène und auch die Kameraarbeit prägen: Die großen Familientische, ob im Garten oder im Esszimmer, sind prominente Schauplätze, das Klavier in der Villa kommt immer wieder zum Einsatz, bis hin zur Untermalung des selbstgeschriebenen Theaterstücks, das die jüngsten Familienmitglieder am Abend vorführen. Drehbuch und Inszenierung aber zeichnen sich durch subtile Details aus, bei denen jähe, unerwartete Zärtlichkeit, unbedachter Egoismus und ein routinierter Austausch von weder ganz ernsten noch ganz scherzhaften Dialogen die Beziehungen charakterisiert. Schön kommentiert auch die musikalische Ebene mitunter das Geschehen, etwa wenn verschiedene Figuren ihr jeweiliges Gespräch unterbrechen, um in das im Radio gespielte Chanson „L’Amour, l’Amour, l’Amour“ von Mouloudji einzufallen – über Liebe zu singen, ist sichtlich einfacher, als sie auszuleben.