Das Leben des Witwers Djibi kreist fast vollständig um die kleine Sofia. Jeden Abend vor dem Schlafengehen erzählt der Vater seiner Tochter Märchen, in denen die beiden zu Protagonisten eines fernen Traumlandes werden. Er (Omar Sy) ist darin ein stolzer Superhelden-Prinz, angetan mit Strumpfhosen und flatterndem Cape, der es mit allen denkbaren Übeln aufnimmt, sie die smarte und beim Fantasievolk beliebte Prinzessin, die ab und an noch der tatkräftigen Unterstützung ihres Beschützers bedarf.
Doch auf Sofia (Sarah Gaye) warten bald echte, ernstere Abenteuer. Im Leben der bald schon Elfjährigen vollzieht sich mit ihrem Eintritt in die weiterführende Schule der erste richtig große Wandel. Der Wohlbehüteten fällt es zunächst schwer, sich im Kreise einiger fieser Kids in der Klasse zu behaupten. Zum Glück ist da der Junge Max. Er wird zum neuen, strahlenden Prinzen im Leben der Heranwachsenden. Und im Beisein ihres blondhaarigen Schwarms wird Sofia das Engagement ihres Superdads nun schnell peinlich.
Mit dem Flüggewerden der Tochter startet die Identitätskrise des Vaters
Der einvernehmlichen Vorstadtroutine von Vater und Tochter folgt bald schon ein von Konflikten getragenes Zusammen- und Auseinanderleben. Sofia emanzipiert sich zusehends vom Einfluss ihres Vaters, was mit sich bringt, dass Papa Djibi sich in den eigenen vier Wänden immer überflüssiger vorkommt. Die Situation droht zu eskalieren, als die Tochter eine Einladung zur Geburtstagsparty von Max’ Bruder erhält. Da ihr beflissener Helikopter-Dad niemals zulassen würde, dass Sofia mit älteren Jugendlichen feiert, gibt sie vor, lediglich bei einer Klassenkameradin eingeladen zu sein. Natürlich fliegt ihr Schwindel auf. Zwischen Vater und Tochter kommt es zur wutentbrannten Eskalation.
Als vermittelnde Instanz bringt sich die neue Nachbarin, dargestellt von Bérénice Bejo, ins Spiel. Anhand der sich leider etwas vorhersehbar entspinnenden Lovestory zwischen Djibi und ihr wird klar, dass auch für den Witwer ein neues Lebenskapitel beginnt.
Der neue Film von „The Artist“-Regisseur Michael Hazanavicius
„Der verlorene Prinz und das Reich der Träume“ aus der Feder des Regisseurs Michel Hazanavicius (u.a. „The Artist“) ist nicht nur ein Filmmärchen, das vom Erwachsenwerden erzählt, sondern auch eines, das schildert, wie schmerzlich sich der Abnabelungsprozess des Nachwuchses aus Elternsicht gestalten kann. Omar Sy, der unter anderem in der Erfolgskomödie „Ziemlich beste Freunde“ spielte, verkörpert den von der elterlichen Sinnkrise Geplagten als stabil-wirklichkeitsnahen Zeitgenossen mit einem Hang zum Sentimentalen. Zur Bewältigung seiner Ablösung als alleiniges Bezugsobjekt der Tochter projiziert sich Djibi auch in Abwesenheit seines Sprösslings weiterhin in die gemeinsam erträumte Fantasiewelt. Hazanavicius inszeniert diese Projektion nicht als Flucht vor der Wirklichkeit, vielmehr als stützende Metafiktion, die dem Vater einen Verhandlungsraum zur Bewältigung der Erwachsenenplagen bietet. Djibis dekonstruiertes Storyland erscheint einerseits als quietschbunter und argloser Themenpark und auf der anderen Seite als strikt hierarchisches und doch anarchisches Filmset, innerhalb dessen das Drehpersonal aneinander seine Neurosen auslebt – eine versetzte und übersteigerte Version der Realität.
Mithilfe der Fiktion gelingt es dem Vater schließlich, die notwendige Ablösung von der Tochter auch auf der Ebene der Wirklichkeit zu verarbeiten. Widerstrebende Emotionen und scheinbar antagonistische Kräfte vermag Djibi bald schon seelisch zu integrieren, was ebenso zu einer Versöhnung mit Sofia beiträgt.
Geschichten helfen, uns selbst und andere besser zu verstehen
Michel Hazanavicius betont hier das Potenzial fiktiver Erzählung, wenn es um die Bewältigung realer Begebenheiten und Lebenseinschnitte geht. Was ihm konzeptionell-erzählerisch leichterhand gelingt, entgleitet dem Regisseur jedoch bisweilen auf der Bildebene seiner Inszenierung. So mutet in dem fiktiven Traumland seines Films alles eine Spur zu bunt und quietschig an, die überbordende Farbpalette markiert einen zu deutlichen Bruch mit der Realität der Protagonisten, bei denen die beiden Handlungsebenen doch tatsächlich miteinander verquickt sind.
Seine Kraft nimmt „Der verlorene Prinz und das Reich der Träume“ dagegen aus dem bewegenden Zusammenspiel seiner Hauptfiguren. „Du bist meine Zukunft und ich bin deine Zukunft“ sagt die Kleine an einer Stelle zu ihrem verzagten Vater. Hazanavicius’ feine Schauspielführung ermöglicht den Zuschauern eine emotionale Anteilnahme an solchen Szenen, die über das bloße Nachvollziehen der Handlung hinausgeht. Das hebt Michel Hazanavicius’ „Verlorenen Prinz“ trotz einiger Plot-Vorhersehbarkeiten positiv aus der Masse neuerer Jugendfilmproduktionen hervor.