In Stuttgart existierte einst eine legendäre Buchhandlung, die auf zwei Stockwerken mit Büchern so vollgestopft war, dass man den zumeist nicht sehr freundlichen Buchhändler belangen musste, wenn man ein bestimmtes Buch kaufen wollte. Der wusste dann zuverlässig, wo sich inmitten all der unsystematischen Stapel und Regale das entsprechende Exemplar befand. Wer nicht so gerne fragte, war auf die eigene Suche angewiesen, die meist erfolglos blieb. Dafür aber stieß man in der Regel auf interessante Werke, nach denen man gar nicht gesucht hatte und von denen man vielleicht nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierten.
Vor etlichen Jahren musste diese Buchhandlung schließen. Vielleicht, weil die Innenstadt-Mieten für Buchhandlungen nicht mehr taugten. Vielleicht auch, weil man Bücher im Netz ordern und sich somit den Weg in die Innenstadt sparen konnte.
An solche Buchhandlungen erinnert der Dokumentarfilm „The Booksellers - Aus Liebe zum Buch“ von D.W. Young. Und zwar nicht nur, weil der Film einen mitunter nostalgischen, mitunter melancholischen oder kulturkritischen Blick auf die Bibliophilie und auch die Geschichte der Bibliophilie wirft, sondern weil der Film in etwa so aufgeräumt ist wie jene legendäre Stuttgarter Buchhandlung. Es gilt, hunderte Geschichte aus unterschiedlichsten Perspektiven zu erzählen. Also erzählt Young sie einfach alle; für jeden Zuschauer wird schon etwas Interessantes dabei sein.
Wühlen durch Buchhandlungen und Sammlungen
Und so wühlt sich der Film durch teils chaotische, teils akribisch aufgeräumte Buchhandlungen und Privatbibliotheken, lässt Sammler ihre Schätze oder Abseitigkeiten präsentieren und zeigt Menschen, die von ihrem eigenen Bestand überrascht werden. Man wird Zeuge, wie Buchhändler ihre bibliophilen Kostbarkeiten auf Buchmessen präsentieren, erfährt viele Anekdoten über Sammelleidenschaft und Baustatik und lernt die Unterschiede zwischen traditionellen Buchhandlungen, Antiquariaten und Ketten wie Barnes & Noble kennen.
Manche Bibliophile spezialisieren sich auf ein bestimmtes Gebiet, manche sammeln nicht nur Bücher, sondern auch archaische Masken, präparierte Möwen oder Geldbörsen. Ein gewisser Hang zur Exzentrik ist kaum zu übersehen. Ist der Buchhändler selbst ein Sammler? Tritt er dann in Konkurrenz zu seinen Kunden? Wer ist für die Bepreisung bibliophiler Bücher zuständig?
Ein zentrales Thema ist - wenig überraschend - die Digitalisierung, die nicht nur die Jagd auf Rares derart erleichterte, dass die Preise in den Keller rauschten. Wo einst viel Zeit und Knowhow aufgewandt werden musste, um an den richtigen Orten nach den richtigen Dingen zu suchen, wo die Provinz bereist und Nachlässe gesichtet wurden, reichen heute ein paar Klicks. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Zeit vor der Digitalisierung und einige Medien, die nicht nach-digitalisiert werden, was der Film anhand einer Sammlerin von frühen HipHop-Magazinen vor Augen führt.
Lesen wird wieder hip
Gleichzeitig stellt die Digitalisierung die Existenz von Printmedien insgesamt in Frage. Zum Glück, so der Film, wird das Lesen von Büchern gerade bei jungen Leuten wieder hip. Dem Zuschauer werden sehr teure Bücher präsentiert, etwa Bücher, die in Menschenhaut gebunden sind. Man erkennt, dass das Motiv oftmals eher ein Habenwollen, nicht aber ein Lesenwollen ist. Dass private Bibliotheken fast eine Art von Tagebuch darstellen, die eine intellektuelle Biografie repräsentieren. Und man gut daran tut, die Schutzumschläge von Erstausgaben nicht wegzuwerfen, Randnotizen in gebrauchten Büchern nicht zu unterschätzen und dass man darauf achten sollte, wer wann und wie ein Buch signiert. Und nicht zuletzt erfährt man, dass die Geschichte des „Bookselling“ sehr, sehr lange eine Männerdomäne gewesen ist, die sich sehr schwergetan hat, die weibliche Konkurrenz überhaupt wahrzunehmen.
Gleichzeitig wird hier vielfach auch die Untergangsstimmung einer Szene und einer Branche beschworen. Doch angesichts der Vielzahl der Stimmen, der Präferenzen und kleinen Macken der Befragten, der Leidenschaft, die sich hier permanent offenbart, aber auch des Durcheinanders der Perspektiven auf das Thema erscheint diese jedoch schlechterdings etwas übertrieben.