Sohn der weißen Stute

Abenteuer | Ungarn 1981 | 86 Minuten

Regie: Marcell Jankovics

Nach einer ungarische Legende entwickelter Animationsfilmklassiker über ein mythisches Pferd, das gegen grausame Drachen antritt, die die Welt unterjocht haben. Der an eine Prosadichtung von László Arany angelehnte Film nutzt den Sagenstoff für ein psychedelisches Fest der Animationskunst, das die Erzählung in einem pulsierenden, symbolgeladenen Fluss weiterspinnt, in dem sich alle Elemente verwandeln können, ohne dass es sich dabei auf eine bestimmte symbolische oder reale Lesart festlegen lässt. In der neu restaurierten 4k-Fassung erstrahlt der Farben- und Formenrausch des Animationsfilm-Meisterwerkes in eruptiver Ursprünglichkeit. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FEHÉRLÓFIA
Produktionsland
Ungarn
Produktionsjahr
1981
Produktionsfirma
Pannónia Filmstúdió
Regie
Marcell Jankovics
Buch
László György · Marcell Jankovics
Kamera
Zoltán Bacsó
Musik
István Vajda
Schnitt
Magda Hap · Mária Kern · Valéria Pauka · Judit Szarvas
Länge
86 Minuten
Kinostart
13.08.2020
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Abenteuer | Animation | Fantasy | Science-Fiction
Externe Links
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Heimkino

Die Extras der schön augfgemachten 2-Disk-Edition umfassen u.a. ein ausführliches Interview mit Marcell Jankovics (38 Min.), seine Kurzfilme "Sisyphus" (1974, 2 Min.) und "Kampf" (1977, 2 Min.) sowie das filmhistorisch bemerkenswerte Feature "Pannónia Anno - Geschichte(n) eines Filmstudios" (Ungarn 2012, R: Péter Szalay, 98 Min.). Die Edition wird abgerundet mit einem 18-seitigen Booklet mit einem analytischen Text von Jennifer Lynde Barker. Die 2-Disk-Edition ist mit dem Silberling 2021 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Bildstörung (FF, Mono ungar.)
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Bildstörung (FF, PCM Mono ungar.)
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Restaurierte Fassung des psychedelischen Meisterwerks um eine ungarische Legende, in der ein mythisches Pferd gegen grausame Drachen antritt, um die Welt zu erlösen.

Diskussion

Am Anfang von „Der Sohn der weißen Stute“ steht eine Warnung. Das Muttertier hat zwei männliche Fohlen geboren. Sollte sie noch ein drittes zur Welt bringen, so prophezeien es ihr die drei großen Drachen, wird das ihr Ende sein. Kurz darauf wird der dritte Sohn der weißen Stute geboren. Zwei Mal sieben Jahre wird sie ihn säugen. Bis er stark genug ist, den Baum, der das Himmelsgewölbe trägt, aus dem Boden zu reißen. Ein weltverändernder Kraftakt, der sich allein im Haarschopf des Protagonisten ablesen ließe. Die blonde Mähne des „Baumausreißers“ wiegt sich im Affekt, lodert wie eine riesige Flamme; stellt sich bei Anstrengung auf, als habe sie ein Blitz getroffen; hebt und senkt sich schwer atmend und tropft vor Trauer und Enttäuschung zu Boden wie eine Träne. Allein die Haarspitzen entfalten in dem ungarischen Animationsfilm von Marcell Jankovics mehr Potenzial als viele andere Vertreter dieses Genres in ihrer Gesamtheit aufbringen.

Wahnwitzige Eruption ästhetischer Konzepte

„Der Sohn der weißen Stute“ ist einer von vier Langfilmen des ungarischen Animationskünstlers Jankovics. Die neu restaurierte Fassung des bereits 1981 entstandenen Animationsfilms erweckt die Farben des Films und mit ihnen eine wahnwitzige Eruption ästhetischer Konzepte wieder zum Leben. Holzschnitt, Scherenschnitt und Expressionismus vereinen sich mit den einfachen Grundstrukturen der Volkssagen und Mythen, auf denen die Geschichte basiert, zu bunten, pulsierenden, symbolbeladenen Animationen. Der Einbruch der Hölle, von dem die weiße Stute ihrem Sohn erzählt, ist ein blutroter Schwall, der sich über die Welt ergießt, zu einer Schlange formt und die erhabenen Wesen verschlingt, die die Welt bevölkern.

Der aus diesen Sequenzen zusammengesetzte Schöpfungsmythos wird innerhalb der ordnenden Grundstrukturen von Zahlensymbolik und zyklischer Erzählweise praktisch ohne harte Schnitte erzählt. Wie in Ovids „Metamorphosen“verwandeln sich Götter, Halbgötter und andere Wesen zu Flora und Fauna, zu Sternbildern und janusköpfigen Gesteinsformationen. Reliefs werden zu Wäldern, spitze Mosaike gehen in Farbe auf und fließen zu bunt leuchtenden Wolken zusammen, bis sich die Himmelsformationen im Verbund mit den Bäumen vergrößern und schließlich ins nächste Bild auflösen. „Der Sohn der weißen Stute“ ist ein fluides, psychedelisches Meisterwerk.

Baumausreißer, Steinbröckler, Eisenkneter

Das Pathos seiner großen Erzählung wird von Jankovics immer wieder mit kleinen humorvollen Spitzen ausgehebelt. Als die Stute beispielsweise ansetzt, ihre eigene Genesis zu erzählen und ihre Augen sich in den von Sternbildern erleuchteten Kosmos verwandeln, zerrt der kleine, gelangweilte Baumausreißer ihr an der Mähne und bringt damit die Geschichte und das Universum gleichermaßen ins Wanken. Mit der gleichen Kraft wird er den gewaltigen Baum ausreißen, seine Brüder, den Steinbröckler und den Eisenkneter, zu einem sportlichen Zweikampf herausfordern und schließlich mit ihnen in die Unterwelt aufbrechen.

Drei Prüfungen müssen die drei Brüder hier bestehen, um drei Prinzessinnen aus den Händen der drei grausamen Drachen zu befreien. Der Kampf gegen die Drachen, die der Baumausreißer als Stärkster der drei Brüder auf eigene Faust führt, entfacht noch einmal ein symbolisch überfrachtetes Feuerwerk. Mit seinem, aus dem Bart eines Kobolds geschmiedeten Schwert trägt der Baumausreißer einen riesigen Phallus (Phallus- und Vulvabilder sind überhaupt sehr üppig über den Film verstreut) mit in den Kampf. Mit diesem tritt er gegen die Drachen an, die weniger den bekannten Formen der Fabelwesen gleichen, als vielmehr zu visuellen Repräsentationen des modernen Kriegs werden.

Die Sonne weint eine Träne

Auf einen dreiköpfigen Golem folgen ein fünfköpfiger Schlachtkreuzer auf Ketten und eine siebenköpfige Festung. Dem Technologie gewordenen Ungeheuer der Kriegslust wachsen Kanonenrohre aus den Händen, die, wie jeder andere Teil des mechanischen Körpers, in alle Richtungen Bomben spucken.

Auf eine konkrete Lesart will sich keine der Eruptionen symbolischer und realer Gewaltakte hinbiegen lassen. Dafür ist der Rausch, dem Jankovics immer wieder freien Lauf lässt, zu flüchtig und wandelbar. Am Ende des Schöpfungsmythos steht keine fertige Zivilisation, keine Vermählung, kein narrativer Fluchtpunkt, sondern die Sonne, die eine Träne weint.

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