Für den abgebrannten Yakov (Dave Davis) ist es ein verlockendes Angebot: 400 Dollar soll er bekommen, wenn er über Nacht den Leichnam eines alten Mannes namens Rubin bewacht. Normalerweise wird das jüdische Ritual der Totenwache zwar von einem Hinterbliebenen übernommen, doch weil es in diesem Fall aber nur eine demente Witwe gibt, wird die Aufgabe einem „Shomer“ wie Yakov übertragen.
Für den schüchternen, immer leicht nervös umherblickenden jungen Mann wird dieser eigentlich sehr simple Auftrag allerdings zur Kraftanstrengung. Gerade noch haben wir ihn bei einer Selbsthilfegruppe gesehen, in der Aussteiger aus jüdisch-orthodoxen Gemeinschaften auf ein säkulares Leben vorbereitet werden. Für Yakov fühlt sich dieses Leben noch sehr ungewohnt an. Er muss nicht nur lernen, wie Bewerbungen geschrieben werden oder wie man ein Handy bedient, sondern etwa auch seine Scheu überwinden, eine Frau zum Abschied zu umarmen.
Ein gefundenes Fressen für den Mazzik
Der Job als „Shomer“ bedeutet für ihn deshalb auch die Rückkehr in eine Parallelwelt, von der er sich gerade erst mühsam gelöst hat. Es wird in dem Low-Budget-Horrorfilm „The Vigil – Die Totenwache“ von Keith Thomas nicht die einzige Herausforderung in einer äußerst turbulenten Nacht sein. Denn bald bekommt es Yakov mit einem Mazzik zu tun: einem Dämon, der sich vom Schmerz seiner Opfer ernährt. Wie der Holocaust-Überlebende Rubin ist auch der schwer traumatisierte Yakov – der meint, am Tod seines jüngeren Bruders schuld zu sein – ein gefundenes Fressen für den bösen Geist.
Die Besonderheit des Debütfilms ist seine tiefe Verwurzelung in der jüdischen Kultur. Er ist im urbanen Mikrokosmos einer überwiegend jiddisch sprechenden Gemeinde angesiedelt, dreht sich um religiöse Rituale und greift auf ein Wesen aus der jüdischen Mythologie zurück. Auch der Ursprung des Schmerzes von Rubin und Yakov liegt in Erfahrungen, die von persönlicher Ohnmacht wie von antisemitischer Gewalt prägt sind.
Wie konsequent der Film innerhalb dieses Kosmos bleibt, offenbart schon, dass es ihm weniger um eine äußere Bedrohung als um eine innere Zerrissenheit geht. Die spärlich beleuchtete Wohnung im orthodoxen New Yorker Viertel Borough Park wirkt mit ihren flackernden Glühbirnen und polternden Geräuschen zwar wie ein klassisches Geisterhaus, doch vorwiegend muss Yakov sich aber seiner eigenen Verwundbarkeit stellen.
Das eigentliche Grauen ist ein qualvolles Trauma
Das eigentliche Grauen in „The Vigil“ ist ein qualvolles, unüberwindbares Trauma - und der Mazzik, der kaum und meist nur von hinten zu sehen ist, seine Verkörperung. Wenn Yakov aus dem Haus fliehen will, krümmen sich seine Gliedmaßen vor Schmerz und zwingen ihn, zurückzukehren. Und so wie der böse Geist als Metapher für ein überwältigendes und unauslöschliches Leid dient, so erzählt auch die Befreiungsgeschichte des Films nur vordergründig vom Fluch des Mazziks, tatsächlich aber von der Überwindung einer persönlichen, tief sitzenden Angst.
Wegen seiner starken psychologischen Grundierung wirkt es konsequent, dass sich „The Vigil“ inmitten seines kammerspielartigen Settings auch visuell vor allem auf seinen Hauptdarsteller und ein bedrohlich rumpelndes Sounddesign konzentriert. Nur selten weist etwas über diese Situation hinaus – mal ist es etwa eine kurze Rückblende, mal ein Telefonat oder ein Video, das Rubin vor seinem Tod aufnahm und in dem er die Natur des Mazzik erläutert. Dass der Film vieles buchstäblich im Verborgenen lässt, mag vor allem eine Budgetfrage gewesen sein und hätte ein guter Anlass für ein geschicktes Spiel mit dem Unbekannten werden können.
Die Wirkung erschöpft sich
Allerdings stolpert die Inszenierung immer wieder über ihren Minimalismus. Statt die 90 Minuten Laufzeit dafür zu nutzen, tiefer in die Seelenwelt der Hauptfigur vorzudringen oder stärker auf genretypische Spannungsmomente zu setzen, verliert sich der Film immer wieder in Szenen, die etwas zu diffus und planlos mit der unheimlichen Atmosphäre umgehen. Irgendwann hat sich die Wirkung von Yakovs angsterfülltem Gesicht und der alles verschlingenden Dunkelheit erschöpft. Was neben einem ambitionierten Ansatz und einigen Schockmomenten letztlich bleibt, ist ein Drehbuch mit zu viel Leerlauf.