Da 5 Bloods
Drama | USA 2020 | 154 Minuten
Regie: Spike Lee
Filmdaten
- Originaltitel
- DA 5 BLOODS
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- 40 Acres & A Mule Filmworks
- Regie
- Spike Lee
- Buch
- Spike Lee · Danny Bilson · Paul De Meo · Kevin Willmott
- Kamera
- Newton Thomas Sigel
- Musik
- Terence Blanchard
- Schnitt
- Adam Gough
- Darsteller
- Delroy Lindo (Paul) · Jonathan Majors (David) · Chadwick Boseman (Stormin' Norman) · Isiah Whitlock jr. (Melvin) · Norm Lewis (Eddie)
- Länge
- 154 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Kriegsfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Vier afroamerikanische Kriegsveteranen, die einst im Vietnamkrieg dienten, kehren Jahrzehnte später nach Vietnam zurück. Ein Meta-Kriegsfilm von Spike Lee.
Ein Land, nicht von Soldaten, sondern vom Kino erobert, verwandelt in die Summe von tausend Filmen. Über „Apocalypse Now“ sagte Francis Ford Coppola: „The movie is not about Vietnam. It is Vietnam.“ Natürlich gilt das auch umgekehrt, denn Vietnam ist längst auch „Apocalypse Now“. Und „Full Metal Jacket“. Oder „The Deer Hunter“. Man reckt die Arme zum Himmel, schon ist man in „Platoon“; jede Tempelruine verwandelt in Colonel Kurtz. Das weiß auch Spike Lee, in und durch dessen Kino die Filme schon immer lebendig wurden. So lässt er in „Da 5 Bloods“ vier gealterte afroamerikanische Veteranen in ein Land zurückkehren, das längst filmisch ist und sie zu Schauspielern macht. Method Actors, die ihre eigene Vergangenheit nachspielen, um für sich eine Geschichte zu finden, die Sinn ergibt. Oder zumindest Geschichten.
Feldzug, Geschichtsstunde, Abenteuerurlaub
Anfangs mögen sie noch lachen, wenn sie über den Marktplatz von Ho-Chi-Minh-Stadt schlendern und über „Rambo II“ reden. Diesen aus heutiger Sicht absurden Propagandafilm, in dem der muskelberstende Sylvester Stallone noch im Jahr 1985 Kriegsgefangene aus einem vietnamesischen Lager retten sollte – und die US-Volksseele am besten gleich mit. Doch auch die Bloods sind im Land, um etwas zurückzuholen, das für sie nicht nur materiellen Wert hat. Natürlich sind Paul (Delroy Lindo), Melvin (Isiah Whitlock Jr.), Otis (Clarke Peters) und Eddie (Norm Lewis) auf der Suche nach dem Gold, das sie 1971 dort zurücklassen mussten. Aber auch die sterblichen Überreste ihres geliebten Truppenführers „Stormin‘“ Norman (Chadwick Boseman) liegen irgendwo im Urwald. Ihre Reise wird zur seltsamen Mischung aus Feldzug, Geschichtsstunde, Abenteuerurlaub und Schatzsuche. Wo sie im Grund wühlen, wühlen sie auch in sich selbst und befördern die eigenen Traumata an die Oberfläche.
Paul begegnet Norman in seinen Träumen – Delroy Lindo trägt diese ewige Heimsuchung in seinen Augen durch den Film. Aus Angst vor seinen Empfindungen ist er zum Trump-Unterstützer mit roter MAGA-Mütze geworden; die Grenzmauer baut er um sich selbst. Sein Sohn David (Jonathan Majors), der „Black Studies“ unterrichtet, sorgt sich so sehr um ihn, dass er sogar mit nach Vietnam reist. Doch die Distanz zwischen beiden scheint unüberbrückbar. Viele Veteranen hat ihre Kriegsversehrung in die Opioid-Sucht getrieben. Ihr Land hat sie als Kanonenfutter in die erste Reihe gestellt. Über das Radio erfahren sie von dem Mordanschlag auf Martin Luther King – für sie ist dieser Krieg nur eine von vielen Fronten.
Ein Film wie der Dschungel
Weil die vier Männer menschliche Archive sind, lebendige Geschichte, beginnen ihre Sätze manchmal in der Gegenwart und enden in der Vergangenheit. Parallel zur Prospektion wird in Rückblenden aus dem Krieg erzählt. Während das Jetzt sich über den gesamten Horizont erstreckt, kommt das Damals im engen 4:3-Format daher. „Da 5 Bloods“ weiß, dass es kein stimmiges, ganzheitliches Bild von diesem Krieg geben kann. So präsentiert er sich dann auch in unberechenbarer Form, in immer neuen Seitenverhältnissen, in digitalen Bildern, in 35mm- und Schmalfilm-Bildern. In Farbe und schwarz-weiß. Die Flashbacks sehen aus wie ein alter Kriegsfilm: ein wenig grobkörnig, als würde man durch die Kamera von Vittorio Storaro oder Robert Richardson blicken. Das Kino ist überall; Figuren heißen wie alte Hollywoodstars, und natürlich erklingt auch Wagners „Walkürenritt“, als würde er zur Landschaft gehören.
Diese Mutabilität überträgt sich auch auf Genre und Tonalität. Übergangslos wird vom düsteren Kriegsfilm zu albernstem Slapstick gesprungen, von aktivistischer Dokumentation zum pathetischen Familiendrama. Von der romantischen Komödie zum Action-Thriller. Szenen wuchern wild, ein Film wie der Dschungel. Paul verirrt sich und landet in einem ausgedehnten Theater-Monolog, mit selbstzerstörerischer Kraft direkt in die Kamera geschleudert. Die Nebenfiguren kommen von überall her und wirken stets, als wären sie gerade ihrem eigenen Film entstiegen. Jean Reno erinnert als zwielichtiger französischer Exporteur Desroche ein wenig an Gérard Depardieu, an die gespenstischen Kolonialisten aus „Apocalypse Now Redux“ und an seine unterkühlten Hollywood-Rollen. Die Minensucherin Hedy Bouvier (Mélanie Thierry) scheint einer John-le-Carré-Adaption entstiegen. Spike Lee trägt zusammen, schichtet aufeinander. Ein postmoderner Kriegsfilm, der Blickwinkel zusammenträgt und prüft, worin sich die Bilder überschneiden und wo sie mit seiner Grundhaltung zusammenfinden. Lee weiß, wo er steht, und ist gerade dadurch nie dogmatisch.
Die Soldaten haben aus der Vergangenheit gelernt und bringen neben regulären Waffen diesmal auch Kameras mit. Die Fahrt über den Mekong wird eingefangen, Bauern auf ihren Reisfeldern fotografiert. „War is about money“, erklärt Norman seinen Bloods einmal, aber natürlich geht es im Krieg auch um Bilder. Spike Lee mischt auch Dokumentaraufnahmen unter die Filmbilder, alte Zeichnungen und Fotos. Reden von Malcolm X und Martin Luther King, Nick Úts berühmtes Bild von vietnamesischen Kindern, die vor einem Napalm-Angriff fliehen, Malcolm Brownes brennender Mönch Thích Quảng Đức. Eine große Expedition durch Historie und Filmgeschichte, auf der Suche nach Verständnis und Material. Nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, im Austausch mit dem Kino von Gestern voranblickend.
Viel mehr als nur ein Diskurs-Film
Über Spike Lee wird allzu oft geschrieben, er hätte den „Film der Stunde“ gedreht. Für die Kritik kommt seit seiner Kanonisierung jede neue Produktion „genau zur richtigen Zeit“. Als ging es allein um ihre Verwertbarkeit für den Moment, um ihre Diskursmacht, um ihr (zweifellos vorhandenes) mobilisierendes Potential. Als läge seine Leistung allein darin, ein Kunstwerk von Zeitgeist und Gegenwartsfragen durchfließen zu lassen. Als gäbe es keinen Unterschied zwischen irgendwelchen Sundance- oder „Oscar“-Problemfilmchen, die sich vom Diskurs geradezu aushöhlen lassen, und seinen immer neuen, groß angelegten Experimenten. Lee ist näher an Jean-Luc Godard, als man glaubt; auch ihm geht es um „Histoire(s) du cinéma“. Es sind Zeitkapseln, die oft erst in der Zukunft wirken.
Sie auf den „Film der Stunde“ zu reduzieren, schmälert fast zwangsläufig die Halbwertzeit seiner Filme. Vor 30 Jahren hat man „Do The Right Thing“ noch betrachtet wie zuletzt etwa Todd Phillips' „Joker“– als Gefahrenquelle, als subversives Projekt, dass seine Gewalt von der Leinwand in die Welt trägt. Kein Film der Stunde, sondern ein Film der Jahre, der immer wiederkehrenden Stunde. Manches Lob wirkt wie ein überhetztes Umarmen von Inhalten, um den eigentlichen Film ignorieren zu können.
Natürlich schlägt Spike Lee, wie so oft, mit dem Ende den Bogen in Richtung Schlagzeilen. Das mühsam errungene goldene Wissen kommt verdienstreichen Bewegungen wie „Black Lives Matter“ zugute. Doch Lee macht es sich nicht zu leicht. Auch die schrecklich realen Geschichten werden immer wieder neu erzählt, wie ein eigenes Genre. Auch dieses Territorium ist längst vom Kino erobert.