Der Bär in mir
Dokumentarfilm | Schweiz 2019 | 96 Minuten
Regie: Roman Droux
Filmdaten
- Originaltitel
- DER BÄR IN MIR
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Memox Films
- Regie
- Roman Droux
- Buch
- Roman Droux
- Kamera
- Roman Droux
- Musik
- Sandra Stadler · Bänz Isler
- Schnitt
- Roman Droux
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Tierfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Bildgewaltiger Dokumentarfilm über einen Sommer an der Seite des Schweizer Biologen David Bittner unter den Braunbären Alaskas.
Die majestätische Bergkette der Aleuten mit ihren vielen aktiven Vulkanen durchzieht die gesamte Südwestspitze Alaskas. In diesem seltenen Naturparadies liegt die berühmte Katmai-Küste des gleichnamigen viertgrößten Nationalparks der USA. Endlose Weite, menschenleere Strände, saftige Wiesen und sommers wie winters kein einziger Mensch weit und breit. Bis auf David Bittner.
Seit 2002 reist der als „Bärenflüsterer“ bekannt gewordene Biologe jeden Sommer wieder ins weitgehend autarke Grizzlyland, wo heute etwa 9000 Braunbären leben, um sie für seine ebenso zärtlichen wie bizarren Feldstudien aus allernächster Nähe zu betrachten. Unterstützt von Hightech-Kameras und sündhaft teuren Spezialobjektiven nähert sich der promovierte Zoologe normalerweise stets allein den Tieren, die bis zu 600 Kilogramm schwer werden können und deren Verhalten nie wirklich berechenbar ist.
Erinnerungen an den „Grizzly Man“
Braunbären gehören schließlich zur Spezies der Allesfresser, was im Kino spätestens seit Werner Herzogs Dokumentarfilm „Grizzly Man“ bekannt ist. Wenn sie ausgehungert auf akuter Nahrungssuche sind und dafür kilometerweit umherstreunen, machen sie auch vor Menschen wie Herzogs Protagonist Timothy Treadwell und seiner Freundin Ami Huguenard, die 2003 bei einem Bärenangriff starben, ja selbst vor ihrem eigenen Bärennachwuchs keineswegs Halt, wie es auch in „Der Bär in mir“ auf grausige Weise zu sehen ist.
Jener mythenreiche Topos des ewigen „Fressen-und gefressen-Werdens“, die tatsächliche Gefahr sowie der ewige Kreislauf des Kommens und Gehens strukturieren Roman Droux’ beeindruckende Mensch-Tier-Naturstudie von der ersten Einstellung an. Dabei geriert sich „Der Bär in mir“ weder als klassisches TV-Tierforscherporträt noch als reißerisches Psychogramm eines offensichtlichen Bärenfanatikers, der ausgewiesener Fachmann der Zoologie und gleichzeitig fürsorglicher Familienvater aus dem Berner Oberland ist.
In der Grundstruktur eines echten Abenteuerfilms mitsamt stringenter Plot-Points und vor allem zahlreicher hautnaher Begegnungen zwischen Mensch und Bär, bei denen einem beim Betrachten nicht selten der Atem stockt, ist „Der Bär in mir“ ein Paradebeispiel für einen zeitgemäßen Naturdokumentarfilm, der in der Ästhetik wie vom Einsatz auf Filmfestivals und Marketing her von vornherein auf eine große Kinoleinwand sowie ein breites Familienpublikum zielt.
Auf Tuchfühlung mit Balu und Luna
Ähnlich wie Herzogs unvergesslicher Protagonist Timothy Treadwell spricht auch David Bittner in erster Linie mit Kosenamen zu den mächtigen Wildtieren. Egal ob er gerade seinem Lieblingsbären „Balu“, dem „alten Oliver“, einem ehemaligen Alphamännchen, „Bruno“, dem „Big Boss der Lagune“ oder wiederholt seiner verehrten „Luna“ („Ach, Luna. Luna, gute Nacht!“) mit kindlich-naivem Eifer begegnet: Stets ist Roman Droux’ Handkamera aus nächster Nähe dabei, bis dem Schweizer Ein-Mann-Orchester (Regie, Produktion, Kamera, Ton, Schnitt) im zweiten Drittel des Films selbst immer mulmiger wird. So überrascht es nicht, dass er David Bittner beispielsweise nachts oder in direkter Küstennähe vor dem lange herbeigesehnten Lachssprung, auf den die ausgezehrten Bärenfamilien seit Wochen innig warten, zeitweise mit deutlich mehr Distanz beobachtet.
„It’s okay!“, ruft hingegen David Bittner den häufig überaus neugierigen Bären mantramäßig zu, während sich Roman Droux zum Selbstschutz auf den Boden gelegt hat oder er längst im provisorischen Zwei-Mann-Zeltlager dem wilden Treiben um ihn herum von Neuem zusieht. Gerade jene Menge ebenso anmutiger wie bizarrer Miniaturszenen, die voller Chuzpe und einigen Überraschungen stecken, sorgen in „Der Bär in mir“ für einen durchwegs hohen Unterhaltungswert und schenken Droux’ Naturfilmspektakel eine angenehme Leichtigkeit.
Wenngleich einige Zitate aus Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ für den Erzählfluss nicht wirklich notwendig gewesen wären und der vom Schweizer Schauspieler Marcus Signer reichlich pathetisch intonierte Off-Kommentar zuweilen in kitschigem Fahrwasser mäandert, was auch für die übertrieben emotionale Musikgestaltung gilt, so überrascht doch in all den überwältigenden Bildkaskaden immer wieder die faszinierende Persona David Bittners, der Droux’ Film als charismatischer wie redseliger Protagonist im Kern von selbst trägt.
Bei aller Spannung reflektiert
Denn der Naturfotograf und prämierte Wissenschaftler geht in seinen spannenden Eins-zu-Eins-Begegnungen zwischen Mensch und Wildtier niemals gänzlich unreflektiert zur Sache, auch wenn das auf der parallelen Bildebene oftmals völlig anders aussieht. „Man ist als Mensch in einer solch unberührten Wildnis immer ein Störfaktor“, lautet sein Arbeitscredo. Dessen ist sich Bittner jederzeit bewusst. Deshalb würde er selbst Bären wie „Balu“ oder „Luna“, die er seit Jahren kennt, niemals zu nahetreten, sie gar streicheln oder füttern.
Auch kann er das wilde Bärentreiben lediglich im Sommer einige Monate erleben, weil der idyllisch liegende Katmai-Nationalpark im Grunde ein völlig menschenfeindlicher Lebensraum ist. Ohne seinen Piloten, der übrigens schon Timothy Treadwell hierherflog, seinen Notfallkoffer, sein Pfefferspray, seinen elektrischen Schafszaun sowie seine Astronautennahrung wäre er hier bereits nach wenigen Wochen am Ende. Letztlich bleibt Bittners Einsicht, dass auch er als Bärenflüsterer „der Kraft der Natur“ unwiederbringlich ausgeliefert ist. „Abenteuer sind erstrebenswert“, hieß es schon bei Aristoteles, aber im Falle David Bittners sind sie eben immer auch brandgefährlich – und trotzdem wunderschön.