Es wäre zynisch, Zeiten nachzutrauern, in denen noch eine einzelne, von unten angeschubste oder von oben instrumentalisierte Lüge ausreichte, um die Weltpolitik zu verändern. Heute übertrumpfen sich populistische Regierende wie Teile der Bevölkerung gegenseitig darin, einen flächendeckenden Nonsense-Nebel zu verbreiten. Das eine wie das andere entfesselt zerstörerische Dynamiken, aber die Einzellüge lässt sich im Kino womöglich leichter als Kasperletheater erzählen, weil Richtig und Falsch dabei noch so schön unterscheidbar sind.
Menschen, die in rasanten Filmen wie „The Big Short“ schon mal den Überblick verlieren, präsentiert „Curveball - Wir machen die Wahrheit“ von Johannes Naber in aller Ruhe und Einfachheit ein groteskes Panorama geheimdienstlicher Vorgänge und hält sich dabei trotz aller Lust am Spiel doch an die bis heute verfügbaren Fakten.
Im Wettstreit mit der CIA
Die Ereignisse fanden um die Jahrtausendwende zwischen Zirndorf, Pullach und den USA statt, was bereits eine tragikomische Reibung zwischen Provinzlertum und Weltgeltungsanspruch erzeugt. Der im fränkischen Zirndorf untergebrachte Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) wendet sich an den Bundesnachrichtendienst (BND) und behauptet, im Irak an der Herstellung von Anthrax beteiligt gewesen zu sein. Der Biowaffenexperte Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) ist zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Irak zurück; weder er noch andere UN-Kontrolleure sind bei ihren Recherchen vor Ort fündig geworden. Doch nach dem 11. September 2001 glaubt der BND in dem vermeintlichen Informanten das lange ersehnte As im Wetteifer mit der CIA in der Hand zu halten. Wolfs Vorgesetzter Schatz (Thorsten Merten) will, dass er die „Quelle“ befrage. Rafid erhält den Decknamen „Curveball“, weil man hofft, dass er wie jener titelgebende Bogenwurf im Baseball das Spiel verändern kann.
In knappen, scharfen Dialogen, mit angenehm zurückgenommenen, sturztrockenen Ausflügen in den Slapstick und umgeben von miefig-piefigem Büromobiliar in dunklem Grau-Braun nehmen die Psychopathologien der Beteiligten immer mehr Gestalt an. Geltungsdrang und gekränkte Eitelkeiten sind die fiesen kleinen Motoren, die das große Rad in Schwung versetzen.
Das beginnt schon beim halb naiven, halb großspurigen Rafid, den Dar Salim als nicht unsympathischen Idylliker zeichnet, der sich über eine schäbige Wohnung so freut wie Borat einst über einen Aufzug. Gegen eine gewissen Vorzugsbehandlung – eigene Wohnung, deutscher Pass – liefert er seinem „Freund“ Wolf das Gewünschte, eine krakelige Zeichnung von angeblichen Beweisen für die Herstellung von Vernichtungswaffen durch Saddam Hussein. Herrlich muffig spielt Michael Wittenborn den Verbindungsoffizier Retzlaff, der Alwans Befragung als sein Schäufelchen im Sandkasten betrachtet, das Wolf ihm weggeschnappt hat. Blomberg verkörpert den einsamen Wolf als leisen, aber unerbittlichen und im Grunde herzensguten Menschen ohne Privatleben, von einer entfremdeten Tochter und der Ex-Affäre mit der unsentimentalen „Wir machen die Wahrheit“-CIA-Kollegin Leslie (Virginia Kull) einmal abgesehen. Völlig abgebrüht ist Wolf bis zum Schluss nicht; immerhin drängt er gegenüber seinem plärrigen Chef Schatz auf eine Überprüfung von Rafids Behauptung, doch Schatz ist mit seinen gierig flackernden Augen bereits vollständig für den die eigene Herrlichkeit beweisenden „Knaller“ entflammt.
Giftige Mischung aus Paranoia & blindem Stolz
Wie die Weltöffentlichkeit heute längst weiß, gelangte Alwans Zeichnung nicht existenter Biowaffen-LKWs in die Hände des damaligen US-Außenministers Colin Powell und lieferte im Jahr 2003 die Rechtfertigung für einen Krieg, der Hunderttausende das Leben kostete und dessen Folgen bis heute zu spüren sind.
Johannes Naber erzählt diese Geschichte als Farce, ohne sich über den Ernst und den Schrecken lustig zu machen, den die Geschichte um „Curveball“ nach sich zog. „Nach einer wahren Begebenheit. Leider“, heißt es im Vorspann, als seien der Regisseur und sein Co-Autor Oliver Keidel während ihrer zehnjährigen Recherchearbeit nicht aus dem Kopfschütteln herausgekommen.
Die Inszenierung könnte deutlich mehr aufdrehen und den schwarzen Humor und die Groteske auf die Spitze treiben wie etwa in Nabers weitaus radikalerem Film „Zeit der Kannibalen“, doch sie vertraut auf die Absurdität des Faktischen. Während der Vorbereitungszeit sprachen Naben und Keidel auch mit Beteiligten, um der inneren Verfasstheit einer Institution wie dem BND näherzukommen, die hier wenig schmeichelhaft von Minderwertigkeitskomplex, Paranoia und blindem Stolz geprägt ist. Nur mit Rafid hatten die Filmemacher keinen Kontakt; sie seien keine Journalisten, sondern wollten ein fiktionales Werk schaffen und sich durch Alwan nicht „instrumentalisieren lassen“, wie es im Presseheft heißt. Offenkundig war man bestrebt, sich von der Dokumentation „Krieg der Lügen - Curveball und der Irakkrieg“ (2015) abgrenzen, die sich unkritisch der Selbstinszenierung von Rafid Alwan bedient, untermalt mit viel Actionfilmmusik.
Weit weg und gefährlich nahe
Nabers „Curveball“ schlägt hingegen einen melancholisch verzweifelten, müde lächelnden Grundton an. Auch auf der Tonebene: Nabers eigene Kompositionen von vereinzelt eintrudelnden, schmerzhaft angerauten Streicherklängen und hohl tönenden Bläsern durchschneiden das tragikomische Geschehen mehr, als dass sie es untermalen. Wenn im BND-Büro ein Verhörvideo gezeigt wird, öffnet sich rumpelnd eine Schrankwand, aus der quietschend ein Röhrenfernseher erscheint. Alt und lächerlich weit weg wirkt die Jahrtausendwende hier, als liege sie bereits ein halbes Jahrhundert zurück. Doch bevor man sich allzu behaglich zurücklehnen und von dieser versunkenen Epoche distanzieren könnte, informiert im Abspann ein Insert lakonisch: „Der damalige Chef des Kanzleramts ist heute Bundespräsident“.