Im Jahr 1942 wird der junge Belgier Gilles zusammen mit anderen Juden in Frankreich von der SS verhaftet. Die Deutschen fackeln nicht lange: Statt ins Konzentrationslager geht es direkt zur Massenerschießung in einen nahegelegenen Wald. „Ich bin Perser!“, ruft Gilles mitten im Kugelhagel, als Beweis legt er ein persisches Buch vor, das er kurz zuvor gegen eine Scheibe Brot getauscht hatte. Der Ausruf rettet ihm das Leben. Als Beweis fährt die Kamera langsam über Dutzende von Leichen, die achtlos liegengelassen wurden. Was Gilles noch nicht wissen kann: Er bleibt am Leben, weil die Mörder zufällig einen Perser suchen. Er soll Farsi unterrichten, eine Sprache, die er nicht beherrscht. Sturmbannführer Koch, Leiter der Lagerküche, träumt davon, nach Kriegsende in Teheran ein Restaurant zu eröffnen. Gilles bleibt nichts anderes übrig, als Vokabeln zu erfinden und sie als Farsi auszugeben. Mehr noch: Er muss diese Vokabeln auch selbst lernen, um gegenüber Koch weiterhin als Muttersprachler zu gelten. Ein einziger Fehler, und alles wäre vorbei.
Inspiriert von einer wahren Begebenheit, beruhend auf der Erzählung „Erfindung einer Sprache“ von Wolfgang Kohlhaase (den man vor allem als Drehbuchautor kennt), entfaltet Regisseur Vadim Perelman eine bestechende Idee: Zwei Männer unterhalten sich in einer Sprache, die nur sie verstehen, niemand sonst. Das verleiht ihnen innerhalb des KZs, trotz des Machtgefälles zwischen Gefangenem und SS-Mann, eine besondere Beziehung.
Eine fragile, stets gefährdete Beziehung
Allerdings macht diese Beziehung sie auch zu Außenseitern an diesem Ort des Grauens. Während Koch (Lars Eidinger) sich gegenüber seinen Vorgesetzten rechtfertigen muss, dass er Deutschland nach dem Krieg verlassen will, darf Gilles in der Schreibstube arbeiten, anstatt im Steinbruch zu schuften. Das führt zu Unverständnis und Missgunst unter den SS-Leuten. Gerüchte und üble Nachreden sind die Folge, die Koch stets geschickt, aber nicht minder hinterhältig abzuwehren weiß.
Seine große Spannung bezieht „Persischstunden“ aus der fragilen Beziehung zwischen den beiden ungleichen Männern. Sie ist stets gefährdet. Einmal vergibt Gilles ein Wort versehentlich noch einmal, woraufhin ihn Koch bei einem Picknick der SS-Leute übel zurichtet. Eidinger entgleiten in dieser irritierenden Szene förmlich die Gesichtszüge, er lässt die wütende Enttäuschung mit aller Macht heraus und überschreitet dabei fast die Grenze zum Overacting – nur um später mit feinen Gesten Freundschaft und Aufmerksamkeit einzuklagen. Auch wenn Koch nur die Lagerküche leitet, wie er einmal einwendet, nachdem Gilles ihn als Mörder beschimpft, ist er gefährlich und furchteinflößend. Er mag zwar kein Mörder sein, aber er kocht für Mörder – eine moralische Zwickmühle, aus der er sich nur mit der Flucht nach Teheran befreien kann.
Interpunktiert wird dieses feingliedrige Duell zweier Männer durch Szenen aus dem Lager oder den Interaktionen der SS-Leute, vom „Rottenführer“ bis zum Offizier. Affären, Eifersucht, Eitelkeit, Rachlust, Sadismus, Hass, Intrigen, zumeist in der Kantine eingefädelt, stehen im krassen Gegensatz zum Leid der KZ-Häftlinge. Ihre Qualen spart der Film, bis auf die Anfangsszene, zumeist aus. Einmal hört Gilles Erschießungen aus der Ferne. Ein qualvolles Intermezzo im Steinbruch währt nur kurz, ein anderes Mal sind nackte Leichen, die in Lastwagen zur Verbrennung gefahren werden, aus der sicheren Vogelperspektive zu sehen.
Ein Drama über Vertrauen und Machtgefälle
„Persischstunden“, darauf hat Perelman hingewiesen, ist kein Holocaust-Drama im eigentlichen Sinn. Für den Regisseur steht das Vertrauen im Vordergrund, das Machtgefälle in einer fragilen Freundschaft, die Kommunikation und Bedeutung von Sprache. Der schockierenden Unmittelbarkeit von „Son of Saul“ stellt „Persischstunden“ einen anderen Weg entgegen: Hier kann ein Jude nur überleben, weil er sich ganz auf seine Fantasie, auf das, was in seinem Kopf ist, konzentriert.
Der Schluss teilt sich, dem unmittelbaren Schicksal seiner beiden Hauptfiguren folgend, in zwei Stränge – der eine entbehrt in seiner dummen Zufälligkeit nicht einer gewissen Ironie, der andere ist stark und bewegend, weil er den vielen Toten einen Namen gibt. Das macht aus „Persischstunden“ ein beklemmendes Drama, das – bedingt durch ein klug aufgebautes, ideenreiches Drehbuch und eine geschickt konstruierte Geschichte – zugleich packend unterhält. Und wenn Lars Eidinger wie ein Schulbub fleißig seine Vokabeln paukt, scheint auch ein wenig Humor hindurch. Da glaubt einer, Persisch zu sprechen, und tut es doch nicht – welch ein Ritter von der traurigen Gestalt.