DAU. Natasha

Romain Antony | 25.09.2020

Der brutalste, schockierenste fiktionale Film des Wettbewerbs! Geschlechtsverkehr, Fellatio, Demütigung, Willkür, Ausgeliefertsein. Viele Zuschauer*innen verließen den Saal. Der Film handelt kammerspielartig von den zwei weiblichen Angestellten, in Hassliebe einander verbunden, die die Kantine eines wissenschaftlichen Institutes bewirtschaften, das dem Geheimdienst unterstellt ist. Geforscht wird über die Wirkung von Strahlung auf das Durchhaltevermögen von Spezialkräften. Ich war überrascht, dass Wilhelm Reichs Orgontherapie und sein Orgonakkkumulator für die Versuchsanordnung bemüht wurden. In meinen Berlinale Favoriten hatte ich den Film W.R. - Mysterien des Organismus von Dusan Makavejev zum Anschauen vorgesehen, einen Film, den ich in den 70ern mal mit Interesse gesehen hatte. Und jetzt taucht Reich gleich in anderem Zusammenhang auf. Die Kantinenwirtin wir auf erniedrigende und beängstigend brutale Weise dazu gezwungen Falschaussagen zu tätigen, um einen ausländischen Wissenschaftler zu diskreditieren. Zum Schluss des Film sieht es so aus, als habe das Stockholm Syndrom sie erwischt, als sie mit ihrem Peiniger flirtet und ihm Avancen macht oder ist es das Manöver einer Selbstverteidigungs- und Überlebensstrategie? Die Geschichte der Verfilmung von DAU ist beachtlich. Über 4000 Stunden Dialogmaterial hat der Regisseur aus seinem Projekt gezogen Mit Laiendarsteller*innen, Gefängniswärtern, verurteilten Kriminellen realisierte er ein Kunstprojekt über die stalinistische Vergangenheit der Sowjetunion. Aus dem Material entstehen nicht nur Filme, sondern auch Kunstinstallationen. In Paris kam eine zur Aufführung, in Berlin wurde sie durch die Verwaltung verhindert. Weshalb sollten menschenverachtende Geschehnisse und Vorgehensweisen durch menschenverachtende Inszenierungen dargestellt werden? Muss das sein, sollte das sein, dient dies dem Verständnis, trägt das zur Wahrheitsfindung und zur Verhinderung weiterer Vergehen gegen die Menschenrechte bei oder gesellt sich solches als weiteres Puzzlestück zur Psychopathologie des zeitgeistigen Wahnsinns? Ist das Kunst oder kann das weg? cf. auch: www.filmekommentieren.wordpress.com