Corine ist eine attraktive, selbstbewusste und kontaktfreudige Frau, die jedoch nicht über den Tod ihres Mannes Paul hinwegkommt und in ihrer Trauer gefangen bleibt. Auch bei der Arbeit macht sie gravierende Fehler. Da es so nicht weitergehen kann, vermittelt ihr ein Freund einen Job in der Mongolei. Als Tonfrau soll sie für eine Reportage über Schamanismus in der abgelegenen Region ethnographische Aufnahmen sammeln. Mit einer Übersetzerin zieht sie in den Norden des Landes zu den Tsaatan, einem Nomadenvolk.
„Eine größere Welt“ entdeckt Corine, als sie während eines schamanischen Rituals wolfsähnliche Laute ausstößt und in Trance fällt. Sie sei in Lebensgefahr gewesen, sagt die Schamanin Oyun und klärt die Französin darüber auf, dass sie eine seltene Gabe besitzt. Corine ist entsetzt, doch zurück in Frankreich lassen sie ihre Erlebnisse in der Mongolei nicht mehr los. Vielleicht gibt es hinter der Tür des Bewusstseins eine Möglichkeit, wieder mit Paul zusammenzutreffen?
Holz hacken, Feuer machen, Rentiere melken
Mit ein paar Freunden und den Tonaufzeichnungen der Schamanenzeremonie inszeniert sie eine Session – und fällt prompt wieder in Trance, aus der sie erst in der Psychiatrie erwacht. „Wenn sie jedes Mal, wenn sie eine Trommel hören, sich wie ein Wolf fühlen, haben Sie ein kleines Problem“, sagt die Psychiaterin und verschreibt ihr Psychopharmaka. Corine aber ahnt, dass dies nicht ihr Weg ist und kehrt in die Steppe zurück. Die Schamanin begrüßt sie zwar freudig, überschüttet sie aber statt mit spiritueller Weisheit mit harter Arbeit: Holz hacken, Feuer machen und Rentiere melken.
Der Weg, um selbst eine Schamanin zu werden, ist hart und bisweilen auch skurril. Als Corine sich am Flussufer wäscht, verschleppt ein Rentier nicht nur ihren blauen Schamanenkittel, sondern auch Pauls Asche, die unauffindbar im Unterholz verloren geht.
Die Sehnsucht der Europäer nach exotischer Transzendenz ist für die mongolischen Rentier-Hirten allerdings auch eine Einnahmequelle. Wenn die Zeremonien am hellen Tag stattfinden, ist das eine Fake-Veranstaltung, bei der die Schamanin vor gutgläubigen Touristen statt echter Beschwörungsformeln nur Belangloses aus mongolischen Kochbüchern rezitiert und Trance und Ekstase lediglich vortäuscht. Die Strafe für diese Betrug folgt allerdings auf den Fuß: Nach diesen Performances plagen Oyun Rückenschmerzen, weil das heftige Wirbeln mit der schweren Trommel ohne echte spirituelle Besessenheit auf die Wirbelsäule geht.
Balance zwischen Trauer und Alltagsbeobachtungen
Endlich kommt Corines Initiationszeremonie. Doch in ihren Visionen, in die sie sich ekstatisch hineintrommelt, ist zu ihrer großen Enttäuschung Paul nicht zu sehen. Sie kehrt nach Frankreich zurück und versucht fortan, ihre spirituellen Erfahrungen wissenschaftlich zu untersuchen.
„Eine größere Welt“ basiert auf dem Buch „Mein Leben mit den Schamanen“ von Corine Sombrun, in dem sie ihre Erlebnisse nach einem Trauerfall verarbeitet hat. Der Inszenierung von Regisseurin Fabienne Berthaud gelingt die Balance zwischen obsessiver Trauer und der Beschreibung eines spirituellen Alltags einer anderen Kultur, ohne dass der Film dabei eine Win-win-Situation in einer globalisierten Welt vorgaukeln würde. Diese Balance beruht insbesondere auf der Hauptdarstellerin Cécile de France, die in einem Lächeln gleichzeitig Trauer, Begeisterung und Skepsis ausdrücken kann und in ihrer Trauer genauso abhängig ist, wie sie mit Leidenschaft ihrem Leben eine neue Richtung gibt.
So fremd wie vertraut
Auch wenn „Eine größere Welt“ insbesondere zu Beginn durchaus mit den Schönheiten der Landschaft spielt, lebt der Film doch in einem hohen Maße von seiner Natürlichkeit. Bis auf die Schamanin Oyun, die von der mongolischen Schauspielerin Tserendarizav Dashnyam sehr facettenreich verkörpert wird, handelt es bei den mongolischen Darstellern ausnahmslos um Laien. Schamanismus und Spiritualität sind Teil ihres täglichen Lebens. Es zählt zu den darstellerischen Leistungen von Cécile de France, in diesem Umfeld ebenso fremd wie heimisch aufzutreten.
Beeindruckend ist aber auch die Kamera von Nathalie Durand, die das Spiel der Emotionen in den Gesichtern wunderbar einfängt, aber auch zahllose ethnographische Details unauffällig widerspiegelt. „Eine größere Welt“ erzählt von Trauer und Selbstfindung und wie hart die Arbeit sein kann, wenn es zur Begegnung zwischen den Kulturen kommen soll. Mit seiner so burschikosen wie sensiblen Hauptdarstellerin und der genauen Beobachtung ethnographischer Details vermeidet der Film jeden Anflug von Ethnokitsch und billige Handbuch-Spiritualität.