Eltern, Kinder und die Postapokalypse: rund um diese Konstellation entstanden in den letzten Jahren diverse Filme: In „The Road“ versuchte Viggo Mortensen, seinen kleinen Sohn in einer sterbenden, der Barbarei verfallenden Welt am Leben zu erhalten, Martin Freeman trug sein Baby in „Cargo“ durchs zombifizierte Australien, in „A Quiet Place“ mussten Emily Blunt und John Krasinski, in „Bird Box“ Sandra Bullock nach verheerenden Alien-Invasionen den Nachwuchs vor außerirdischen Monstern schützen – um nur einige Beispiele zu nennen. All diese Filme setzen auf das Identifikationspotenzial elterlicher Beschützerinstinkte und die Empathie, die man automatisch fühlt, wenn Kinder bedroht werden.
„Light of My Life“, geschrieben und inszeniert von Casey Affleck, der auch eine Hauptrolle verkörpert, nutzt diese Emotionen ebenfalls, macht allerdings mehr daraus als ein effektives Bedrohungsszenario. In der postapokalyptischen Geschichte eines Vater-Tochter-Gespanns geht es nicht nur um den Überlebenskampf in einer feindlichen Umwelt, sondern auch um die Reibungen zwischen den beiden Hauptfiguren: Um ihrer Sicherheit willen muss die elfjährige Tochter sich als Junge geben und wird vom Vater so gut es geht von anderen Menschen ferngehalten; das Mädchen, am Rande der Pubertät, beginnt jedoch, sich dagegen zu wehren und neugierig zu werden, sowohl auf seine weibliche Identität als auch auf neue soziale Kontakte.
Angesiedelt ist der Film in einer Welt, in der rund zehn Jahre zuvor ein Großteil der weiblichen Weltbevölkerung einer verheerenden Krankheit zum Opfer gefallen ist. Wie genau die männliche Hälfte mit diesem Verlust umgeht, kann man nur erahnen, denn der Film verharrt in der Perspektive seiner Figuren und liefert kein darüberhinausgehendes Gesellschaftspanorama. Man erfährt, dass zwar wohl noch rudimentäre staatliche Strukturen existieren – zumindest gibt es in Städten Versorgungsstellen, in denen man Lebensmittel und Co. bekommen kann –, das soziale Gefüge aber weitgehend zusammengebrochen ist. So etwas wie eine Polizei, von der Schutz zu erwarten wäre, scheint es nicht zu geben, und die Menschen sind in kleineren oder größeren Verbänden sich selbst überlassen.
Wenn die Tochter eine der letzten Frauen der Welt ist
Gefährlich ist das vor allem für die wenigen überlebenden Frauen, wenn sie den falschen Männern in die Hände fallen – das legt die von Anfang an fühlbare Paranoia des Vaters (Casey Affleck) nahe, der sich mit seiner Tochter Rag (eine famose Entdeckung: Anna Pniowsky) in die Einsamkeit der Wälder geflüchtet hat. Wenn doch einmal ein Fremder aufs Zelt der beiden stößt, weißt er jeden Versuch, in näheren Kontakt zu treten, bestimmt zurück, bricht das Lager ab und zieht mit Rag weiter; wenn die beiden ein neues Quartier finden, verabreden sie zunächst ein Notfallprogramm, das festlegt, wie sie vorgehen, wenn der Vater eine „Code Red“-Situation, also Gefahr, wittert.
Bis diese Gefahr konkrete Gestalt annimmt, lässt sich der Film viel Zeit, seine beiden (großartig gespielten) Hauptfiguren einzuführen und über die atmosphärische Bildsprache von Kameramann Adam Arkapaw ein melancholisch-unterkühltes Bild der Welt zu entwerfen, durch die sie ziehen. Großartig ist schon die Eröffnungssequenz, die zeigt, wie der Vater dem Mädchen nachts im Zelt eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt: Sie vermittelt gleichermaßen die große Nähe und Liebe zwischen den Figuren als auch, zart angedeutet, den sich anbahnenden Konflikt, wenn sich die Tochter am Ende darüber beschwert, dass die als Geschichte von Goldy, der Füchsin angekündigte Fabel dem Vater im Erzählfluss mehr zur Story von Art, dem Fuchs gerät: Rag vermisst die weibliche Perspektive, die weiblichen Rollenvorbilder. Später, als die beiden kurzzeitig in einem verlassenen Haus unterkommen, gibt es einen Streit, als Rag sich aus einem der Kleiderschränke an Mädchen-Klamotten bedient und bockig reagiert, als ihr Vater sie dazu bringen will, eine mit Glitzer-Steinen besetzte Jeansjacke nicht im Freien zu tragen.
Rebellieren gegen die Opferrolle
Die postapokalyptische Krisensituation bringt sozusagen eine unfreiwillige Form von Misogynie im Verhältnis der beiden mit sich: Frau-Sein reduziert sich wieder aufs alte Klischee von Verletzlichkeit und wehrloser Opferrolle, muss abgeschirmt und versteckt werden. „Light of my Life“ generiert daraus zahlreiche Spannungsmomente, die von der latenten Furcht vor Entdeckung, einer dramatischen Flucht-Szene und schließlich einer physisch ungemein intensiven Konfrontation mit einer feindlichen Männer-Gruppe befeuert werden, ist aber vor allem die Geschichte einer doppelten Emanzipation.
Rag fängt immer bestimmter an, ihre eigene Rolle, die Rolle des Vaters und seine Sicherheitsregeln in Frage zu stellen. Und dem Vater seinerseits beginnt zu dämmern, dass er die Entwicklung seines Kindes zur Frau, selbst wenn man sie nach außen hin noch eine Weile durch kurze Haare und Jungenkleider verheimlichen kann, zumindest selbst nicht länger verdrängen und blockieren darf. Schon deswegen, weil doch auch in dieser verheerten, verkehrten Welt das Frau-Werden zuallererst ein Erwachsenwerden ist. Und das ist für Rag genauso wichtig wie für ihren Vater, der schließlich die eigene Verletzlichkeit annehmen muss – und sich von der Stärke der Tochter überraschen lassen kann.