In Australien herrscht Winter. Es ist kalt. Es regnet. Der Wind bläst Dennis Kailing ins Gesicht, als sich die Tachoanzeige seines Fahrrades auf 20.000 Kilometer dreht. Seit über einem Jahr ist Kailing mittlerweile allein auf dem Rad unterwegs.
Losgefahren ist er, weil ihm mit Anfang 20 die Welt zwischen Haustür und Arbeitsplatz zu eng wurde. An dieser Stelle in seinem selbst gedrehten Film „Besser Welt als nie“ steht er an dem Punkt, noch ein ganzes Jahr weiterzuradeln, noch einmal gut 20.000 Kilometer zurückzulegen. Vor etwas mehr als zwölf Monaten ist er von seinem Elternhaus im hessischen Gelnhausen aufgebrochen, um einmal mit dem Rad die Welt zu umrunden. Nach Osten losfahren, aus dem Westen zurückkehren, so war der Plan. Durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien und Bulgarien folgte er der Donau bis zum Schwarzen Meer.
Über die Türkei und Armenien reiste er in den Iran ein, wo ihn immer wieder hilfsbereite LKW-Fahrer ein Stück mitnahmen und er über die Couchsurfing-Plattform günstige Übernachtungsgelegenheiten fand. Von dort ging es mit der Nachtfähre nach Dubai, in den Oman, mit dem Flugzeug nach Nepal, weiter nach Indien und Myanmar. Mit dem Auto hätte er sich dort nicht so einfach fortbewegen können, da es Touristen in Myanmar nicht erlaubt ist, selbst zu fahren. Mit dem Fahrrad dagegen konnte er ungehindert über die breiten, vierspurigen und völlig leergefegten Straßen der 2002 aus dem Boden gestampften Hauptstadt Naypiyidaw rollen, vorbei an zahllosen leerstehenden Hotelanlagen.
Sumatra, Bali und Australien
Weihnachten feierte er dann mit einer kleinen christlichen Gemeinde in Myingyan. Im neuen Jahr plantschte er mit einem französischen Globetrotter und einer Horde indonesischer Jungs in den regenüberfluteten Feldern Sumatras. Von Bali aus setzte er nach einem Zusammenstoß mit einem Roller nach Flores über, fuhr mit der Fähre nach Timor-Leste, überquerte auf einer klapprigen Behelfsbrücke einen Fluss voller Krokodile, bestieg den fast 3.000 Meter hohen Tatamailau und brach schließlich nach Australien auf. Dort kämpfte er sich wochenlang durch das öde, unwirtliche Outback, als ihm unvermittelt Ferris „Gump“ entgegenlief, ein „Verrückter, der durch Australien rennt“, wie Ferris selbst sagte, 50 bis 75 Kilometer am Tag.
Schließlich ist Kailing auf dem Pacific Highway A1 nach Sydney unterwegs, als sein Tachometer die 20.000 anzeigt. Davon, so kommentiert er vom Sattel aus spöttisch in die laufende Kamera, „kann man sich nichts kaufen.“ Aus dem Off beantwortet er danach noch die Frage, ob er an seiner Tour bislang etwas bereut habe, mit einem energischen „Allerdings“!
Mit Filmförderung und Crowdfunding finanziert
Zwei Jahre war Kailing auf seiner Weltreise insgesamt unterwegs. Zwei weitere Jahre dauerte es, bis der mit Actioncam und Drohne gedrehte und mit Filmförderung und Crowdfunding finanzierte Streifen kinofertig war. In der Zwischenzeit zogen ganze Karawanen von Weltenbummlern über die deutschen Kinoleinwände, sodass Kailings Reisefilm jetzt nur noch einer von vielen ist.
Egal, ob die Filmemacher per Anhalter, in einem ausgebauten Schulbus, auf einem Segelboot oder eben mit dem Fahrrad unterwegs sind, die Genrezutaten ähneln einander. Überwältigende Landschaftsaufnahmen, meist erstaunlich professionell fotografiert, sind im Wechsel mit lächelnden Gesichtern in Großaufnahme und winkenden Menschen zu sehen. Dramaturgisch reihen sich episodische Begegnungen und stimmungsvolle Impressionen aneinander. Zwischendurch sorgt die unweigerliche Reisekrise für narrative Dynamik. Ist die Krise einmal überwunden, kehren die Protagonisten dann irgendwann gereift von ihrer modernen Bildungsreise zurück in die alte Heimat.
Mit unbekümmerter Selbstironie
Dass einige dieser filmischen Reiseberichte aus dem Off einen missionarischen Lebensratgeber-Unterton verpasst bekommen, schmälert nicht selten den Genuss der opulenten, fernwehweckenden Aufnahmen und der vielen kleinen, lustigen und berührenden Reiseanekdoten. Umso erfreulicher und erfrischender ist, mit welch unbekümmerter Selbstironie Dennis Kailing seine Reiseerfahrungen im Voice-over schildert. Sprechtechnisch klingt das oftmals holprig und laienhaft, was aber durch den griffigen, packenden Soundtrack wieder weitgehend aufgewogen wird.
Kailing versucht nicht, alles schönzureden, was seinen kurzweilig montierten Film besonders sympathisch macht. Er quält sich durch das australische Hinterland ebenso wie später durch die steilen, kalten Anden. Und er ist froh, als er El Salvador und Honduras hinter sich lässt, nachdem er dort von Kindern mit Steinen beworfen, als „Gringo“ beschimpft und mit einer Machete bedroht worden ist. In den USA reist er gemeinsam mit einem Freund die Westküste entlang und genießt es, endlich einmal jemanden zu haben, mit dem er Bier trinken kann. Da ist einfach ein junger Mensch in der Welt unterwegs, der neugierig und offen ist, Spaß haben will und andere im Kino daran teilhaben lässt. It’s as simple as that, man muss es nicht überhöhen.
Leider kann sich Kailing am Ende seines Filmes eine moralische Botschaft dann doch nicht ganz verkneifen. Aber da ist er längst zurück in Deutschland, und hierzulande gehört so etwas wohl einfach dazu.