Dokumentarfilm | Portugal 2018 | 64 Minuten

Regie: Susana Nobre

Seitdem eine junge Frau Mutter geworden ist, konzentriert sich ihr Leben nur noch auf den kleinen Kosmos ihres Apartments in Lissabon. Das Doku-Drama porträtiert in einfachen, klaren Einstellungen die sich wiederholende Abfolge von Fürsorge und Hausarbeit, Zärtlichkeit und Erschöpfung. Der Erfahrungsraum des Mutterwerdens, der durch die Geschichten von Besuchern gespiegelt wird, kommt zwischen den Bildern unaufgeregt und gerade in der scheinbaren Banalität zum Schwingen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TEMPO COMUM
Produktionsland
Portugal
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Terratreme Filmes
Regie
Susana Nobre
Buch
Susana Nobre
Kamera
Paulo Menezes
Schnitt
João Rosas
Darsteller
Marta Lança (Marta) · Clara Castanheira (Clara) · Pedro Castanheira (Pedro)
Länge
64 Minuten
Kinostart
05.12.2019
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Drama
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Doku-Drama um eine junge Frau, deren Leben sich nach der Geburt ihres ersten Kindes auf den kleinen Kosmos ihres Lissaboner Apartments konzentriert.

Diskussion

„Ich habe das Haus allein verlassen, und nun kehre ich zu zweit zurück“, schreibt die britische Schriftstellerin Rachel Cusk in ihrem autobiografischen Roman „Lebenswerk“ über das überwältigende und schwer zu begreifende Erlebnis des Mutterwerdens. Mit diesem alltäglichen Wunder beginnt auch „Ordinary Time“. Das erste Bild zeigt Marta mit ihrem gewölbten Bauch, eine Szene später ist sie mit dem Neugeborenen auf dem Weg nach Hause.

Waschen, Duschen, Föhnen

In der Folge wird der Film die Wohnung nur einmal für kurze Zeit verlassen; es geht in die Natur, in die Weite, an die Luft. Hier ist ein anderes Atmen möglich, die Bewegungen wirken freier, auch die Einstellungen haben mehr Raum. Die überwiegende Zeit aber spielt „Ordinary Time“ in dem abgeschlossenen Kosmos des Lissaboner Apartments – eine Insel, deren Umgebung sich nur durch gelegentliche Blicke aus dem Fenster erschließt.

Man sieht Marta beim Stillen und wieder beim Stillen. Man sieht das Baby, mal ruhig, mal quengelnd, die Blicke des Vaters, das schlafende Kind in seinen Armen, das schlafende Kind in ihren Armen, das schlafende Kind alleine in seiner Wiege. Wieder Marta beim Stillen. Auch beim Kochen und Putzen, beim Sortieren von Wäsche, beim Duschen und Föhnen. Später beim Abpumpen von Milch.

Besucher kommen vorbei, Martas Mutter, ein anderes Paar, ein Freund, eine Freundin und deren Tochter. Sie erzählen Geschichten; von einer Reise nach Angola, der Kampagne gegen eine sexistische Comedy-Show. Meist löst das Bild der Mutter mit Kind aber das Sprechen über eigene Erfahrungen als Vater und Mutter aus, über die Geburt der Kinder oder nicht vorhandene Kinderwünsche. Die Schwiegermutter erteilt gut gemeinte, wenn auch bevormundende Ratschläge, ein Vorwurf liegt in der Luft. Auf dem Land erzählt eine Bäuerin von früher, als es normal war, dass Frauen zehn bis zwölf Kinder zur Welt brachten und bei der Geburt auch mal starben. „Sie haben so viel gelitten. Die armen Dinger. Miserables Leben.“

Das Wesentliche im Normalen

Die Dokumentaristin Susana Nobre fühlte sich durch eigene Erfahrungen als Mutter für ihren ersten Spielfilm inspiriert. Anders als bei der Schriftstellerin Cusk geht es in „Ordinary Time“ nicht um den normalisierten Ausnahmezustand, weder um den „hausfraulichen Schlamm aller Dinge“, noch um das Zuhause als „eine Krisenregion am anderen Ende der Welt“, auch wenn Fragen nach Geschlechterrollen und der Verteilung von Arbeit und Verantwortung latent vorhanden sind und gegen Ende auch sehr explizit thematisiert werden.

Stattdessen entwirft Nobre mit sehr klaren, auch klar gerahmten Einstellungen, oft in Großaufnahmen, ein Bild des Mutterwerdens (weniger des Vaterwerdens), das gerade in seiner Redundanz, Ausschnitthaftigkeit und scheinbaren Banalität Wesentliches sichtbar macht. Das erweiterte Dasein wird alltäglicher, die Gesten routinierter; Marta schließt zunehmend an ihr altes Leben an. Man sieht sie jetzt öfter an ihrem Schreibtisch sitzen; wenn die Tochter zu weinen beginnt, lässt sie sich Zeit.

Eine Existenz eigenen Rechts

Der eigentliche Erfahrungsraum aber kommt zwischen den Bildern zum Schwingen, in den Auslassungen, der sehr prägnant zum Einsatz gebrachten Musik (viel von Lully, ein Stück von Nat King Cole), den Erzählungen, die mit den Besuchern in die Wohnung kommen und eine eigene Bildlichkeit erzeugen. Schön ist auch, dass das quäkende, brüllende, saugende, die Welt bestaunende kleine Wesen keine bloße Erweiterung der Mutterfigur ist, sondern eine Existenz eigenen Rechts.

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