Angelo
Drama | Österreich/Luxemburg 2018 | 111 Minuten
Regie: Markus Schleinzer
Filmdaten
- Originaltitel
- ANGELO
- Produktionsland
- Österreich/Luxemburg
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Novotny & Novotny Filmprod./Amour Fou Luxembourg/ORF
- Regie
- Markus Schleinzer
- Buch
- Alexander Brom · Markus Schleinzer
- Kamera
- Gerald Kerkletz
- Schnitt
- Pia Dumont
- Darsteller
- Makita Samba (Angelo 4) · Alba Rohrwacher (Comtesse) · Larisa Faber (Angelos Frau) · Kenny Nzogang (Angelo 2) · Lukas Miko (König)
- Länge
- 111 Minuten
- Kinostart
- 28.11.2019
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Historienfilm | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Elliptische Filmbiografie des aus Afrika verschleppten Angelo Soliman (ca. 1721-1796), der im 18. Jahrhundert an den Höfen Europas als exotisches Wunderding vorgeführt wurde, als Reflexion über den europäischen Rassismus.
Das kalte Licht einer Leuchtstoffröhre beleuchtet Angelos toten Körper. Drei Männer werden ihn präparieren, kleiden und in einen Glaskasten stecken. Es ist ein finaler Akt der Entmenschlichung, der noch über den Tod hinausreicht. Das grausame Bild entfaltet seine eigentliche Wirkung jedoch erst im Kontrast zu dem Historienfilm, den es einklammert. Zwei Mal leuchtet die fluoreszierende Lampe der Gegenwart in Markus Schleinzers „Angelo“ auf, am Anfang und am Ende des Films. Es ist die Klammer eines Menschenlebens, das nie als solches anerkannt wurde. Zugleich ist das künstliche Licht eine schauerliche Erinnerung daran, dass der Rassismus, den der tatsächliche, aus seiner Heimat in Afrika verschleppte Angelo Soliman in Europa erleiden musste, nicht nur eine Erscheinung der Zeit ist. Die Demütigungen, die er als Kind, Junge und schließlich als Mann hinnimmt, finden nie im sicheren Abseits der Geschichte statt.
Angelos Leben, das im fluoreszierenden Licht an eine französische Comtesse (Alba Rohrwacher) verkauft wird, findet fortan in den Interieurs des 18. Jahrhunderts statt. Im historischen Halbdunkel wird der junge Angelo aufgezogen. Die Comtesse lässt ihn taufen, gibt ihm Sprachunterricht und lehrt ihn das Musizieren. Der Junge ist ihr anthropologisches Experiment. Als er das erste Mal vor die Gesellschaft tritt, hält sie einen Vortrag über „den Neger in Afrika“: Träge und launisch und gottlos sei dieser, eher Affe als Mensch und für die Sklaverei geschaffen. Dann spielt Angelo auf der Blockflöte, um die Thesen zu widerlegen. Er ist der Triumph der Adeligen, wird präsentiert wie ein Tier, dem sie das Musizieren beigebracht hat. Stolz verkündet sie ihm anschließend, er sei dem Menschsein einen großen Schritt näher gekommen.
Unerbittliche Entwürdigungen
Die unerbittlichen Entwürdigungen stehen oft im direkten und genau deswegen so schmerzhaften Kontrast zu den menschlichen Bedürfnissen des Jungen. Als er nachts vor dem Bett der Frau auftaucht, die nun sein einziger Bezugspunkt ist, wird er nur wieder und wieder aufgefordert, zu erklären, was er denn eigentlich wolle.
Angelos Kindheit ist einer von fünf Teilen dieser mit tragischer Ironie erzählten Geschichte. Fünf Darsteller verkörpern Angelo, der schließlich als Schauspieler am Hoftheater in Österreich sein Leben verbringt. Schleinzer bildet weniger einen vollständigen oder historisch akkuraten Lebenslauf des wahren Angelo Soliman ab, als eine Essenz des Rassismus, der dem Protagonisten wieder und wieder das Menschsein verwehrt. Angelo ist das Zentrum der prachtvollen Tableaus, die ihn als stummen Zeugen eines fremdbestimmten Schicksals zeigen. Jeder soziale Aufstieg, den er innerhalb dieser Gesellschaft erringt, bringt Ressentiment mit sich. Der erwachsene Angelo (Makita Samba) wird sich ein eigenes Haus kaufen, sogar heiraten, und zur Strafe dafür von seinem Herrn in die Freiheit entlassen. Die zunehmend elliptische Erzählung führt Angelo bis an den Hof des österreichischen Kaisers.
Doch auch über die Gunst des Monarchen kann Angelo keinen Platz inmitten der Gesellschaft erringen. Schleinzer zeigt einen Rassismus, der mit seinem Protagonisten wächst, ihn – egal wie sehr er sich als gebildet, höflich, empathisch, leidenschaftlich oder humorvoll erweist – niemals auch nur für einen kurzen Moment gewähren lässt. Auch für den Kaiser ist er eine exotische Glanzfläche, in der dieser sein Selbstmitleid spiegeln kann, wenn er behauptet, sie seien gleich. Gleich im Sinne ihres Schicksals, allein zu sein und nicht ihrer Rolle entfliehen zu können. Angelo hat an den kaiserlichen Monologen ebenso wenig Anteil wie am Rest der Gesellschaft. Er ist allein als exotischer Schwarzer anwesend, wird als soziales Experiment geduldet, als Versuchstier.
Schon zu Lebzeiten im Glaskasten
Niemand erwartet je eine Antwort von Angelo. Wie im Sprachunterricht der Comtesse ist er anwesend, um nicht ange-, sondern besprochen zu werden und sich die Projektionen des rassistischen Weltbilds und der nicht minder rassistischen Anthropologie anzuhören. Allein die Tatsache, dass er einer Sprache mächtig ist, ist die Attraktion, die die Adelsgesellschaft für einen kurzen Moment interessiert. Was Angelo sagt, hat für die Gesellschaft keinen Wert. Man starrt ihn an, staunt über seine Bewegungen, die Geräusche, die er macht und über seine Ähnlichkeit mit dem „echten Menschen“, der er nie sein kann. Bereits zu Lebzeiten ist er von dem unsichtbaren Glaskasten eingeschlossen, in den man ihn nach seinem Tod stecken wird. Ein Exponat im Kerzenschein des 18. Jahrhunderts und im kalten Licht der Gegenwart.