PJ Harvey - A Dog called Money
Dokumentarfilm | Irland/Großbritannien 2019 | 94 Minuten
Regie: Seamus Murphy
Filmdaten
- Originaltitel
- PJ HARVEY - A DOG CALLED MONEY
- Produktionsland
- Irland/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Pulse Films/Blinder Films/JW Films
- Regie
- Seamus Murphy
- Buch
- Seamus Murphy
- Kamera
- Seamus Murphy
- Musik
- P.J. Harvey
- Schnitt
- Sebastian Gollek
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- 14.11.2019
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Doku über die britische Musikerin PJ Harvey, die zusammen mit dem Fotografen Seamus Murphy auf der Suche nach Inspirationen für ein neues Album durch Krisengebiete reiste. In einer fünfwöchigen Live-Sound-Skulptur spielt die Sängerin dann die Songs öffentlich ein.
Schnellen Schrittes läuft die Rocksängerin Polly Jean Harvey die überfüllten Straßen entlang. Ein schwarzes Kopftuch unter der Mütze verhüllt die dunkle Mähne. Den Schotter- und Müllhaufen weicht sie aus, während zerstörte Häuser und Autos an ihr vorüberziehen. „Wenige Frauen, versteckte Frauen, Frauen auf Stöckelschuhen in Geröll und Schlamm“, hört man ihre Gedankenfetzen zu den Aufnahmen aus Kabul.
Die Musik von PJ Harvey, die sich zwischen Avantgarde-Rock, Punk-Blues und Instrumental-Experimenten bewegt, lässt sich schwer zuordnen, was am Unwillen der Musikerin liegt, sich selbst zu wiederholen. Ihre Reise nach Afghanistan, Washington DC und in den Kosovo dient der 50-Jährigen, die wie 35 aussieht, auch weniger dazu, um den Menschen beim Musizieren zuzuhören. Vielmehr ist es die Atmosphäre und das Lebensgefühl, das sie an den Krisenregionen interessierte, um sie später kreativ zu verarbeiten.
Ein Panoptikum des Kreativen
Im Jahr 2016 begleitete Harvey den Fotojournalisten und Filmemacher Seamus Murphy, das Notizbuch stets im Anschlag, um ihre Eindrücke festzuhalten und später in den Songs ihres Albums „The Hope Six Demolition Project“ zu verarbeiten. Der Film „A Dog Called Money“ ist das Ergebnis dieser Kollaboration, in die Murphy auch Bilder seiner Reisen aus Syrien und Mazedonien einfließen lässt.
Man könnte diesem Ansatz den Vorwurf des „Elendstourismus“ machen, wenn PJ Harvey das Leid aus den Kriegen, die Widersprüche und Ungerechtigkeiten der konträren Lebenswelten nicht in ihren Songs verarbeiten würde. Der Film eröffnet ein regelrechtes Panoptikum über den kreativen Prozess einer Künstlerin, die das Entstehen ihres Albums mit der Öffentlichkeit teilt. Im klassizistischen Somerset House in London wurde ein Studio eingerichtet und mit Spiegelglas versehen, hinter dem Besucher die Künstler fünf Wochen lang bei der Arbeit beobachten konnten.
Das Kinopublikum wohnt nun als letzte Instanz dieser „lebenden Installation“ bei. Nicht umsonst beginnt der Film mit Aufnahmen eines zerstörten afghanischen Kinos, in dem vor 20 Jahren, so Harvey aus dem Off, Gewehrkugeln als Eintrittsgeld akzeptiert worden seien. PJ Harvey spielt mit dem Moment der Beobachtung, während sie und ihre Band sich in einen kreativen Prozess stürzen, der selbst aus einer Beobachtungssituation entstanden ist. Der Verdacht, dass sich der einmal initiierte Denkanstoß auch beim Publikum fortsetzt, es quasi zu einer Re-Justierung der eigenen Bewertungskriterien animiert, liegt nahe.
Im Studio hat PJ Harvey die Hosen an
Interessanterweise begibt sich PJ Harvey auf ihren Reisen in Gegenden der Welt, die von Männern beherrscht werden. Dort trifft sie sich fast nur mit Männern und verarbeitet diese Erfahrungen dann auch mit einer reinen Männer-Combo im Studio. Harvey kehrt die Situation sozusagen um. War sie auf den Reisen erzwungenermaßen die stille Beobachterin, die wegen ihres Geschlechts wenig sagen durfte, hat sie nun die Hosen an.
Die einzige Ausnahme während der Reise stellt die US-Amerikanerin Paunie dar. „Paunie regiert das Viertel, sie hat ihre Crew, würfelt für Dollar, ihr Hund heißt Money“, sinnierte PJ Harvey dazu. Ungeschminkt und in weiten Jungs-Klamotten rappt das toughe Mädchen in einen Problemviertel von Washington über Gewalt und Armut. Später begleitet sie der Film zu den Häuserblöcken, wo sie aufwuchs und schon viele ihrer Verwandten ihr Leben lassen mussten. Dort hinten hat sich die Cousine in den Kopf geschossen, an der Bushaltestelle wurde ihr Vater umgebracht, um die Ecke ein Cousin erschossen – und hier an dieser Stelle hat es Paunie fast selbst erwischt.
Es geht in „A Dog Called Money“ auch um das Wohlstandsgefälle. „Geld regiert die Welt“: das lässt sich auch über die Gewalt sagen. Die Verbindung zum US-Regierungsviertel, wo die Entscheidungen für Invasion oder Abzug der US-Truppen getroffen werden, liegt auf der Hand. „Gerade sind gläserne Bürogebäude der absolute Trend“, erzählt ein Journalist der „Washington Post“ der Musikerin, als sie durch das wohlhabende Downtown der US-amerikanischen Hauptstadt fahren, das pure Gegenteil der Ghettogebiete auf der anderen Seite des Flusses. „Die Stadt der Geheimnisse“ bemühe sich hier um „Transparenz“. Glasfassaden, wohin man blickt. Missstände, wohin man hört.
Reisebericht, Kunst-Installation, Film
Der Gegenentwurf als ein ähnlicher Akt der Entblößung scheint eine Art religiöser Trance-Zustand zu sein, den die Filmemacher auf beiden Seiten des Atlantiks in verschiedenen Versammlungen von Bibel- wie auch von Koran-Anhängern einfangen konnten.
Es ist der Verdienst dieser außergewöhnlichen Spurensuche auf den Pfaden der Kreativität, die mal befremdlichen, mal poetischen Impressionen in einer dichten Montage näherzubringen. Wobei es die Dreifach-Spiegelung aus Reisebericht, Kunst-Installation und Film schafft, die interessanten Reflexionen auf den Betrachter selbst zurückzuwerfen.