Wenn der Cop-Thriller „Black and Blue“ nach vielen dramatischen Ereignissen seinen Höhepunkt erreicht, dann ist die genreübliche Auseinandersetzung der Hauptfiguren an Brutalität kaum zu übertreffen. In ihrer Symbolik zeichnet der Film aber gleichzeitig ein erschreckendes Abbild der Realität heutiger US-amerikanischer Großstädte: Viele Zeugen des blutigen Zweikampfs beobachten die Szenerie, aber niemand hebt eine Hand, um einzugreifen; stattdessen halten Smartphones das Geschehen im Bild fest; die aufgerissenen Augen der Graffiti an den Hauswänden reflektieren die stumme Apathie der Herumstehenden.
Vertrauen ist eine seltene Ware
Der Actionfilm des Regisseurs Deon Taylor weicht kaum von den Schablonen des Genres ab, spiegelt im Hintergrund aber fortwährend die Gegenwart in den von Schwarzen und sozial Benachteiligten bewohnten Stadtvierteln wider. Ort der Handlung ist New Orleans; die Narben, die der Hurrikan Katrina geschlagen hat, sind so deutlich sichtbar wie die Folgen der Vernachlässigung der armen Bevölkerung. Drogen und Gewalttätigkeit zählen so selbstverständlich zum Alltag der Menschen, dass sie längst keine Besonderheit mehr darstellen. Jeder lebt für sich allein, Vertrauen ist eine seltene Ware.
Hier ist Alicia West (Naomie Harris) aufgewachsen, hier ist ihre Mutter beerdigt, hierher kehrt sie nach mehreren Einsätzen in Afghanistan zurück. Nun ist sie Polizistin und gerade mal drei Monate im aktiven Dienst. Ihre Hautfarbe ist schwarz, was sie zur Außenseiterin macht. Eine Außenseiterin ist sie aber auch in ihrem eigenen Milieu, denn sie trägt die blaue Uniform der Polizei. Eine junge Frau, die nirgendwo zu Hause ist.
Eines Tages wird sie Zeugin eines kaltblütigen Mordes, verübt von einer Gruppe korrupter Drogenpolizisten. Ihre Body-Cam hat alles im Bild festgehalten. Das lässt Alicia zur Gejagten zwischen den Fronten ihrer Heimat werden. Die Täter sind ihr nicht nur unablässig auf den Fersen, sondern haben sie auch zur Zielfigur der schwarzen Drogenhändler gemacht.
Requiem für eine hoffnungslose Generation
Regisseur Deon Taylor kennt sich im Genre des Polizei-Thrillers aus. Er erzählt die Story der verfolgten, von allen Seiten eingekreisten, von Idealismus und Naivität gleichermaßen geprägten Heldin mit harter, vor nichts zurückscheuender Direktheit, ohne dabei auch nur eine Minute an Spannung nachzulassen. Aber er erzählt sie auch als eine Art Requiem für eine hoffnungslose Generation, der es nicht hilft, auf welcher Seite man steht.
Dazu tragen wesentlich die apokalyptische Musik und vor allem die von klassischen Schwarz-weiß-Filmen inspirierte Kameraarbeit des 76-jährigen italienischen Kameramanns Dante Spinotti bei. Spinotti ist in dem Genre ebenso versiert wie Taylor. Er hat schon Curtis Hansons „L.A. Confidential“ und die drei besten Michael-Mann-Filme („Heat“, „Manhunter“ und „The Insider“) fotografiert, aber auf der anderen Seite auch mehrmals für Ermanno Olmi gearbeitet. Man kann diese Vielseitigkeit seines Werks in „Black and Blue“ durchaus wiederentdecken. Seine düster-bedrohlichen, oft aber auch sehr intimen Bildern unterstreichen die Hoffnungslosigkeit, die diese Geschichte umgibt.
Das einzige bisschen Hoffnung, das bleibt, ist nur noch in den Augen der von Gleichgültigen und Feinden umgebenen Außenseiterin zu finden.