Wie ein General, der das Schlachtfeld überblickt, steht Henry Ford II (Tracy Letts) am Fenster seines Büros. Vor dem Panorama der Ford-Werke verkündet er, das Kinn vorgeschoben und die Brust rausgedrückt, dass weder Soldaten noch Präsidenten den Zweiten Weltkrieg für die USA gewonnen hätten, sondern die Fließbänder seiner Fabriken, von denen aus die Kriegsmaschinerie der Vereinigten Staaten Richtung Europa und Pazifik rollte. Auch den Privatkrieg, den Ford jetzt, knapp 20 Jahre nach dem Sieg der Alliierten, führt, soll das Fließband für ihn gewinnen: den Krieg gegen seinen Rivalen Enzo Ferrari.
Die italienische Rennsportlegende steht kurz vor der Pleite, ist beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans, sprich: dem prestigeträchtigsten Motorsport-Wettkampf der Welt, jedoch seit Jahren ungeschlagen. Ford will Ferrari zu seinen Bedingungen kaufen und so die Renntrophäen, die den allmählich stagnierenden Absatz ankurbeln sollen, von Modena nach Detroit holen.
Ein Angebot, das der alte Enzo mit ein paar Beleidigungen Richtung Ford quittiert. Die perfekte Motivation für den alten US-Patriarchen. Die Absatzverluste kann er hinnehmen, nicht aber den Spott seines Rivalen. So soll beim nächsten Rennen sein Fließbandauto dem handgearbeiteten Designerstück aus Italien den Rang ablaufen. Ford gegen Ferrari: Eine Macho-Rivalität zweier alter Männer, ausgetragen als Materialschlacht auf dem Asphalt von Le Mans.
Kein Risiko ist zu groß, kein Auto schnell genug
Als Leiter des Rennteams wird die Motorsportlegende Carroll Shelby (Matt Damon) auserkoren, das Kapital von Ford in ein konkurrenzfähiges Fahrzeug umzuwandeln. Fahren soll es der Brite Ken Miles (Christian Bale), der zwar regelmäßig Rennen gewinnt, damit aber so wenig Geld verdient wie mit seiner Autowerkstatt. Das Erfolgskonzept der beiden basiert auf der geradezu pathologischen Risikobereitschaft, mit der beide Männer jeden Aspekt ihres Lebens angehen.
Kein Risiko ist zu groß, kein Auto schnell genug, keine Regel gut genug, um nicht übertreten zu werden, und kein Maß an Vernunft groß genug, sie aufzuhalten. So tritt Miles seine Rennen auch dann noch an, wenn er aus Wut bereits das Heck seines Wagens mit dem Hammer zerbeult und die Windschutzscheibe mit dem Schraubenschlüssel zerschmettert hat. Shelby sucht sich seinen Nervenkitzel nach dem Karriereende an anderer Stelle. Etwa wenn er den Privatjet, der ihn zur Pressekonferenz von Ford fliegt, kurzerhand selbst auf dem nahen Flugfeld landet.
Die Dynamik der Macho-Mechatronik-Beziehung
Als Team verwandeln Miles und Shelby, das unbegrenzte Ford-Kapital im Rücken, die Teststrecke in einen Abenteuerspielplatz. Bale und Damon spielen die Dynamik der Macho-Mechatronik-Beziehung mit beiläufigem und gleichermaßen perfekt eingespieltem Timing, wie man es sonst nur bei Geschwistern beobachtet. Wie Brüder feiern sie ihre Erfolge oder liegen sich nach Niederlagen in den Haaren.
Das treffendste Sinnbild für die Rennfahrer, ihr kindisches Tausendsassa-Dasein und im Grunde auch für den gesamten Film ist eine Prügelei, bei der beide so lange über den Rasen des Vorgartens kugeln, bis Miles’ Ehefrau Mollie (Caitriona Balfe) schließlich dazwischengeht.
„Le Mans 66“ ist so reaktionär wie US-amerikanisch
„Le Mans 66“ ist so reaktionär wie amerikanisch: Eine Geschichte von Großmagnaten und Draufgängern mit Cowboyhut, die um die Deutungshoheit im Spiel mit hochtourigen Rennwagen ringen. Regisseur James Mangold weiß das Momentum zu nutzen, das der große Hubraum und das übersprudelnde Testosteron in dieser Konstellation hervorbringen, um aus einer Ära des Motorsports zu erzählen, in der Ruß und Reifenabrieb noch direkt ins Gesicht der Fahrer bliesen. Die große Bühne ist der Asphalt von Le Mans, auf dem Mangold den langen Showdown zwischen Ford und Ferrari präsentiert.
Das Rennen, das halb Materialschlacht und halb Duell zwischen Fahrern ist, wird nicht allein auf, sondern besonders auch neben der Rennstrecke ausgetragen. In der Boxengasse spielt Shelby der Ferrari-Konkurrenz Streiche, klaut Stoppuhren oder verteilt Ersatzteile auf dem markierten Stop-Abschnitt, während die Ford-Chefetage neue Befehle über das permanent klingelnde Telefon ausgibt.
Hauptsache: Motor & Fließband laufen weiter
Über den Hörer, der die Manager-Loge mit der Boxengasse verbindet, markiert Mangold die Demarkationslinie eines Klassenkampfes, der zwei Spielarten männlicher Hybris gegeneinander ausspielt. Die Chefetage von Ford versucht verzweifelt, ihre proletarischen Helden zu kontrollieren, die nicht am Ruhm des Autoherstellers, sondern nur am eigenen Adrenalinpegel interessiert sind.
Als die Zielgerade das letzte Mal überquert ist, bleibt die Erkenntnis, dass auch auf der Bühne des Motorsports die Produktionskraft des Fließbands siegt. Die Ford’sche Bourgeoisie ist der große Gewinner, der Mann hinter dem Steuer nur ein weiteres Verschleißteil. Eine Wahrheit, die sich der Film nie recht eingestehen will, aber letztlich doch willentlich hinnimmt – solange dafür Motor und Fließband weiterlaufen können.