Das innere Leuchten
Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 100 (TV: 60) Minuten
Regie: Stefan Sick
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Ama Film/SWR
- Regie
- Stefan Sick
- Buch
- Stefan Sick
- Kamera
- Stefan Sick
- Musik
- Peter Scherer
- Schnitt
- Moritz Lenz
- Länge
- 100 (TV: 60) Minuten
- Kinostart
- 19.09.2019
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
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Heimkino
Poetisch-dokumentarische Annäherungen an Altersdemenz und Alzheimer, die hinter allem Verlust den Blick für eine Schönheit eröffnen, die meist hinter der Persona verborgen liegt.
Wenn die eigenen Erinnerungen ebenso verblassen wie der alltägliche Selbstbezug, stellt sich für viele Angehörige und Betroffene die angstbesetzte Frage, was noch bleibt. Obwohl Altersdemenz und Alzheimer weit verbreitete Erkrankungen sind, fällt es schwer, die mit ihnen verbundenen Zustände anzunehmen und etwas anderes als Bedauern zu empfinden.
Der Filmemacher Stefan Sick hat in seinem berührenden Dokumentarfilm „Das innere Leuchten“ Bilder und Szenen entwickelt, die den Verlust nicht verleugnen, aber den Blick für eine Schönheit öffnen, die man so unmittelbar selten im Kino zu sehen bekommt: die seelische Kraft des Menschen, die seine Singularität ausmacht, und uns durch diese Krankheit schutzlos gegenübertritt.
In nahen Einstellungen beobachtet die Kamera die Protagonisten in einem auf Demenz spezialisierten Heim. Das ist eine Konfrontation, die eigene Ängste herausfordert, aber von Beginn an zugleich auch in Bann schlägt. Etwa durch einen älteren Herrn, der ständig vor sich hin summt und die Hände wie ein Dirigent bewegt. Sein Blick erscheint nach einer Weile gar nicht mehr abwesend, sondern im höchsten Maße präsent. Was ist es, das er sieht und das ihn so stark bewegt, bis die Körperkraft schließlich nachlässt und seine Arme erschöpft herabsinken?
Mitfühlendes Verstehen
Die geistige Verwirrung, die man Demenzkranken gemeinhin attestiert, wird durch „Das innere Leuchten“ auf eine andere Weise erfahrbar. In ihrem repetitiven, auf den ersten Blick unverständlichen Verhalten zeigen sich Charaktere, die in sich sehr starke Themen haben; diese lassen sich allerdings nur durch die affektive Ebene des Mitgefühls verstehen.
Man spürt die immer wiederkehrende Traurigkeit einer Frau, ohne zu wissen, was ihr Tränen in die Augen treibt. Wenn die Pfleger sie mit liebevollen Worten zu trösten versuchen, wird deutlich, dass es für sie nur noch das Hier und Jetzt gibt. Diese Loslösung von Vergangenheit und Zukunft reduziert einen Menschen, sie legt aber auch etwas frei, das sonst meist hinter seiner Persona verborgen bleibt.
Wenn man den Bewohnern bei der Interaktion untereinander zusieht, stellen sich Assoziationen zu Theaterstücken von Samuel Beckett ein. Dessen Figuren sind in ihrem mentalen und kommunikativen Ausdruck ähnlich reduziert – und doch werden durch sie elementare menschliche Zustände sichtbar, die oft hochkomisch wirken. In den unendlichen Wiederholungen ihrer Handlungen wird nicht nur Hoffnungslosigkeit erfahrbar, sondern auch eine nicht ausgelöschte innere Kraft. Wenn die Kamera im Heim einen Mann dabei beobachtet, wie er mit großer Verzweiflung immer wieder aufzustehen versucht, im entscheidenden Moment aber doch in den Sessel zurücksinkt, tritt beides vor Augen.
Sprache und Nähe
Der Körper scheint uns ebenso im Stich zu lassen, wie er manche Dinge doch in seinem Gedächtnis bewahrt, das über die bloße Kognition hinausgeht. Immer wieder kommen in „Das innere Leuchten“ Bewegungen zum Vorschein, die von den Bewohnern im Laufe ihres Lebens stark verinnerlicht wurden, auch wenn sie aus ihrem Bewusstsein verschwunden sind.
So wird der Putzlappen, mit dem der musikalische ältere Herr einen Tisch abwischt, nach einer Weile zu einem Hobel, da er früher als Schreiner gearbeitet hat. In seinem Zimmer tastet er nach der Tür und tritt dabei vor den Spiegel, ohne sich selbst zu erkennen. Eine bewegende Szene, die daran denken lässt, dass die Erkenntnis des eigenen Spiegelbildes ein mentaler Schritt ist, den man als Kind erst nach eineinhalb Jahren bewältigt – und im Zuge von Alter und Demenz auch wieder verlieren kann.
Das, was uns scheinbar sicher durch den Alltag trägt, Selbstbewusstsein, Reflexion, Sprache, ist äußerst fragil und kontingent. „Das innere Leuchten“ aber gibt Anlass zur Hoffnung, dass auch jenseits dieser mentalen Funktionen etwas existiert, was uns als Menschen ausmacht und verbindet. Die Einzigartigkeit unserer Gesten und unseres Eigensinns oder auch der Verletzbarkeit, die sie trägt. Insofern ist der Verzicht auf jeglichen Kommentar oder jedes Interview für die Wirkung des Films entscheidend. „Das innere Leuchten“ lädt die Zuschauer ein, Zeit mit Menschen zu verbringen, die in einer besonderen Zeitlosigkeit leben, und lässt durch seine langen ruhigen Beobachtungen Nähe entstehen. Und da diese Begegnungen nicht weiter gerahmt sind, konfrontieren sie uns auch mit unseren eigenen Empfindungen, die diese Intimität auslöst.
Was bleibt
Punktiert werden die Szenen im Heim gelegentlich durch – bisweilen vielleicht zu symbolisch ausgesuchte – Naturaufnahmen, die etwas von der kontemplativen Stille vermitteln, die entstehen kann, wenn der Strom des Bewusstseins zeitweilig abreißt und sich in der Ruhe neu und anders verteilt. Die Haltlosigkeit eines Drachens im Wind, die rätselhaften Konturen einer verwinkelten Steinhöhle oder das Aufscheinen des Lichts durch die dichten Baumwipfel werden zu lebendigen Bildern, die sich dem Befinden der Bewohner annähern, ohne dem Verlust das letzte Wort zu überlassen. Denn das innere Leuchten geht über diese Traurigkeit hinaus.