Aardvark
Drama | USA 2017 | 89 Minuten
Regie: Brian Shoaf
Filmdaten
- Originaltitel
- AARDVARK
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Before The Door Pic./Susie Q Prod./Slendro Media
- Regie
- Brian Shoaf
- Buch
- Brian Shoaf
- Kamera
- Eric Lin
- Musik
- Heather McIntosh · Andreas Lucas
- Schnitt
- Marc Vives
- Darsteller
- Zachary Quinto (Josh Norman) · Jenny Slate (Emily Milburton) · Sheila Vand (Hannah) · Jon Hamm (Craig) · Tonya Pinkins (Abigail)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 22.08.2019
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Die Treffen eines psychisch kranken Mannes mit seiner Therapeutin und seine Besessenheit mit seinem erfolgreichen Bruder lösen ein Verwirrspiel an der Grenze zum Surrealen aus. Regiedebüt, das von schwerem Leid und unverhofften Chancen auf Heilung erzählt.
Vielleicht gibt es Filme wie „Aardvark“, damit ein Gegengewicht hergestellt wird zu Filmen aus dem Rache-Genre wie etwa der „John Wick“-Reihe. „Aardvark“ ist kein Film über Leid, das sich in endloser Brutalität entlädt, sondern ein Film über Leid und unverhoffte Heilung. Er zeigt die Möglichkeit, eine Balance herzustellen – im Leben seiner Hauptfigur, bestenfalls auch im Image von Hollywood.
„Aardvark“ setzt sich fragmentarisch zusammen, und selbst bei den Fragmenten weiß man nicht immer, was man sieht oder warum. Ein Erdferkel im Zoo, ein sonderbarer junger Mann, eine wütende Therapeutin, ein mediokrer Filmstar – der Faden, der diese Figuren verbindet, ist dünn, gelegentlich reißt er auch. Klar ist, es wird von einem psychisch Kranken erzählt, aber die Geschichte liefert kein komplexes Bild, sondern nur Sequenzen, in denen er besser oder schlechter mit der Welt zurechtkommt. Dafür erhält man in diesen Episoden, die man mit dem Kranken verbringt, einen ausführlichen Blick in ein Leben, in dem es völlig andere Probleme gibt, als man sie aus durchschnittlichen Leben kennt.
Ein seltsamer, ungeklärter Zustand
Leider wird man in „Aardvark“ nicht über die Krankheit der Hauptfigur aufgeklärt. Josh (Zachary Quinto), so heißt der Mann, geht zwar stetig zu einer Therapeutin (Jenny Slate), erzählt ihr auch, er habe eine „condition“, aber worum genau es sich bei seinem Zustand handelt, hört man nie. Unterschiedliche Benennungen von unterschiedlichen Krankheiten werden munter im Gespräch verteilt: Depression. Bipolare Störung. Schizophrenie. Psychose. Schizophrene Psychose. Man weiß nicht, was stimmt. Was man weiß, oder besser, was man miterlebt, sind Joshs Fehlwahrnehmungen, Halluzinationen, Joshs absurde oder beunruhigende Erlebnisse in einer Welt, die ausschließlich ihm offensteht.
Josh ist ein erwachsener Mann, introvertiert, eher wortkarg. Er hat einen Job in einer Kaffeebar, wo er wie ein Trottel behandelt wird. Soziale Kontakte hat Josh nicht, ist aber mit adoleszenter Begeisterung ein Fan seines Bruders Craig (Jon Hamm). Craig war mal der Star einer Vorabend-Serie. Das ist gut zu wissen, denn so kann man ihn im Fernsehen sehen, was den Schluss zulässt: Craig ist real. Trotzdem bleibt lange unklar, ob er tatsächlich Teil der realen Welt ist, denn Josh hat Craig seit Jahren nicht gesehen. Oder, anders gesagt, Josh bekommt schon häufig Besuch von seinem Bruder – aber dabei verkleidet sich Craig als anderer Mensch. Josh ist sich nie sicher, ob die Personen, mit denen er irgendwo ins Gespräch kommt, nicht vielleicht heimlich sein Bruder Craig sind. Jedes Liderflattern, jede verrutschte Geste eines Gesprächspartners weckt in ihm den Verdacht, er könne Craig gegenüberstehen – zum Beispiel Craig, verborgen hinter dem Äußeren eines Polizisten.
Hin und Her im Grenzland des Surrealen
So ist das mit Joshs Psychokrankheit. Die Grenzen zwischen Illusion und Realität verschieben sich oder werden ganz aufgehoben. Für eine Weile folgt man ihm recht nüchtern bei diesem Hin und Her im Grenzland des Surrealen, dann beginnt man selbst, an allem zu zweifeln, was auf der Leinwand sichtbar wird. Das ist die verblüffendste Begleiterscheinung von „Aardvark“: Man wird wie Josh. Man interpretiert alles neu, sucht immer nach Fassade und dahinter nach einer tieferliegenden Bedeutung. Metaphern? Erinnerungen? Visionen? Plot? Alles möglich. Es gibt einen Moment, schon gegen Ende, in dem Josh der Coup gelingt, mit einer einzigen Behauptung zu erreichen, dass man wirklich glaubt, den Film komplett missverstanden zu haben. Bis er nach kurzem Zögern zugibt, einen Witz gemacht zu haben. Witze also, Lügen, auch das. Die Grenzen macht das nicht schärfer.
Irgendwann wird alles ermüdend. Es gibt eine kurze Sequenz, in der Josh tatsächlich kohärent davon erzählt, wie seine Eltern starben, wie er anfing, auf der Straße zu schlafen, und das weckt nicht nur die Neugier, sondern vor allem die Sehnsucht nach mehr Kohärenz. Die wird nicht bedient, obwohl Craig, der echte Craig, inzwischen mit im Geschehen ist. Er hat die Therapeutin von Josh ausfindig gemacht und verführt, während Josh von einer dubiosen Fremden (Sheila Vand) verführt wird – zu nächtlichen Spaziergängen, für die er seinen Job aufgibt; zu Gesprächen, bei denen er zeitweise sein Misstrauen verliert.
Ein anderer Umgang mit dem Leid
Das alles spielt am Ende zusammen, um Josh, Craig und die Therapeutin in ein gemeinsames Fahrwasser zu bringen. Alle drei wirken dabei erstaunlich glücklich. Sogar die böse Kindheitserinnerung an seinen Bruder, die Josh regelmäßig aufsucht, wird freundlicher. Josh musste nicht Rache an Craig nehmen, um gesünder zu werden, Regisseur Brian Shoaf und seine vier fantastischen Schauspieler zeigen einen anderen Umgang mit dem Leid. Der ist hier schwer, häufig wirr und gelegentlich ernüchternd – dafür erlebt man mit Josh etwas, von dem man glaubt, dass es tatsächlich möglich wäre. So überzeugend ist Shoafs Film, im Realitätsverlust wie im Optimismus.