„Love for books and love for people“: So werden in einem alten Schwarz-weiß-Film die Anforderungen an den Bibliotheksdienst umrissen. Und zwar für alle Arten von Menschen, in allen Situationen des Lebens. Das im Intro von „Ein ganz gewöhnlicher Held“ beschriebene inklusive Prinzip begleitet den Film von Emilio Estevez wie ein moralischer Appell: die öffentliche Bibliothek erscheint darin als die letzte Bastion der Demokratie.
Die „Art von Menschen“, um die es in „Ein ganz gewöhnlicher Held“ konkret geht, sind ohne Obdach. Im eiskalten Winter von Cincinnati, der bereits mehrere Todesopfer gefordert hat, sammeln sie sich schon in den frühen Morgenstunden vor der Bibliothek und warten sehnsüchtig auf die Öffnung der Türen. Sobald sie die Institution betreten haben, gehören sie wie alle anderen zu den „Lesern“. Manche schlafen, andere schreiben E-Mails an ihre Familien oder greifen sich ein Buch aus den Regalen.
Die Bibliothek als Nachtquartier
Der Bibliothekar Stuart Goodson (von Estevez selbst gespielt), die Hauptfigur des Films, hat zu den Wohnungslosen längst eine emotionale Beziehung. Er kennt ihre Namen und ihre Geschichten. Besonders ist er mit dem Afroamerikaner Jackson vertraut, einem charismatischen Mann mit Sinn für Schalk. Nun sieht sich aber ausgerechnet der Bibliothekar mit einer Schadensersatzklage in Höhe von 750 000 Dollar konfrontiert, weil er der Beschwerde einiger Besucher nachgekommen ist und einen Obdachlosen wegen „starken Körpergeruchs“ des Ortes verwiesen hat. Der Vorstand möchte Stuart kündigen.
Als erneut ein wohnungsloser Mann über Nacht erfriert, beschließt eine von Jackson angeführte Gruppe von rund hundert Leuten, die Bibliothek nach Schließung einfach nicht mehr zu verlassen und sie kurzerhand zum Nachtquartier zu erklären – die städtischen Notunterkünfte sind schließlich alle heillos überfüllt. Stuart, der von der Bibliotheksleitung erfolglos versucht hat, dafür eine Genehmigung zu bekommen, schließt sich den Besetzern an, die sich im Lesesaal verbarrikadieren.
Eine gezielte Falschmeldung
Im Auftrag des aalglatten Staatsanwalts Davis (Christian Slater), der sich im Schadensersatzfall noch strategisch auf das verfassungsmäßige Recht berufen hatte, eine Bibliothek zu betreten und ihre Informationen zu nutzen, soll der polizeiliche Verhandlungsführer Bill Ramstead (Alec Baldwin) den Streik beenden. Notfalls auch mit Gewalt. In den Nachrichten kursiert mittlerweile eine von Davis in die Welt gesetzte Falschmeldung über eine Geiselnahme unter Führung des angeblich psychisch gestörten Stuarts. Dabei wird auch seine Vorgeschichte als ehemaliger Obdachloser offengelegt.
Die politische Agenda des Films ist geradezu prototypisch für eine etwas schlichte Form des liberalen US-amerikanischen Kinos. Angesichts von Fake News, der Erodierung demokratischer Prozesse und einem oft unempathischen Blick auf Menschen an den Rändern der Gesellschaft lässt sich „Ein ganz gewöhnlicher Held“ als entschiedenes Plädoyer für Mitmenschlichkeit verstehen. Daran ist nichts falsch. Allerdings ist die Konfrontation zwischen der „bösen“ Staatsgewalt und dem „guten“ Bibliothekar, dem sich bald auch der Direktor (Jeffrey Wright) anschließt, so schablonenhaft gezeichnet, dass die Geschichte fast schon naiv anmutet.
Mit der Realität nur wenig gemein
Die Inszenierung homogenisiert und verkitscht die Obdachlosen zu einer besonders „edlen“ Spezies mit kuriosen „Spezialeffekten“: ein psychisch Kranker glaubt mit seinen Laseraugen andere Menschen zum Explodieren bringen zu können, ein anderer weiß zu jedem Ereignis einen Lexikoneintrag aufzusagen. Mit der Realität der Straße hat diese Hollywood-Version marginalisierter Existenzen recht wenig zu tun. Das Drehbuch will außerdem, dass sich unter den Besetzern ausgerechnet der auf der Straße lebende drogenabhängige Sohn von Ramstead findet, der kaum aufgetaucht, auch schon wieder aus der Szene entfernt wird.
„Ein ganz gewöhnlicher Held“ orchestriert die verschiedenen Handlungsstränge von Innen und Außen – vor der Bibliothek hat eine besonders unseriöse Reporterin das Wort ergriffen, engagierte Menschen kommen mit Sachspenden – mit stetig anschwellendem Pathos. Wenn am Ende gar John Steinbeck – über das „Medium“ Stuart, der aus seinem Roman „Früchte des Zorn“ zitiert – zur Stimme der Wohnungslosen wird, schwillt der Stolz des guten Gewissens feierlich an.