Im Wald wird mit begeisterter Hingabe gehämmert und gebaut; roh behauene Steine werden aufeinandergesetzt, Eisen gewonnen, tonnenschwere Holzbalken auf Gerüsten ineinander gehievt; in immer wieder neuen Anläufen versuchen Männer, eine Glocke zu gießen.
Am Anfang stand eine Architekturzeichnung aus dem Mittelalter: Der „Sankt Galler Klosterplan“ aus dem 9. Jahrhundert entwirft eine kleine Stadt mit Wohnhäusern, Werkstätten und dem Kloster mit einer imposanten, rund 70 Meter lange Abteikirche im Zentrum.
In Meßkirch in Oberschwaben begannen vor einigen Jahren drei Dutzend Männer und Frauen, auf einem entlegenen Waldgebiet die Klosterstadt nach dem mittelalterlichen Plan zu errichten. Gebaut wird mit den Mitteln und Methoden des 9. Jahrhunderts.
Körperliche wie geistige Herausforderung
Das klingt zunächst nach einer neuen Variante des anhaltenden Mittelalter-Booms, nach Handwerkermärkten, Rollenspielen und Heimatforschung. Doch der Film von Reinhard Kungel macht schnell deutlich, dass das „Campus Galli“ für alle Beteiligten nicht nur eine gewaltige körperliche, sondern auch geistige Anstrengung ist, da es eine neue Perspektive auf die Welt ermöglicht – und eine Neubestimmung überkommener Begriffe wie Arbeit oder Selbstverwirklichung erfordert.
„Hier kann man etwas schaffen, was langlebig ist“, sagt einer der Männer. Dabei ist der Alltag auf der Baustelle durchaus von Improvisation geprägt. Für wandernde Zimmermannsgesellen ist der archaische Klosterbau mittlerweile eine Art Geheimtipp, um traditionelle Techniken zu erlernen; für Besucher, über die sich das Projekt finanzieren soll, eine lebendige Form von Geschichtslaboratorium.
„Ich glaube das Leben damals war wesentlich schwerer, aber auch entspannter“, mutmaßt einer. Doch die Mitarbeiter warnen davor, das Mittelalter zu verklären oder in dem Projekt eine romantische Utopie zu sehen. Die Bürger der Stadt Meßkirch zweifeln überdies am Sinn des Unterfangens, da die Öffentlichkeit immer noch finanziell an dem Experiment beteiligt ist. Auch wird die Wissenschaftlichkeit des Projektes hinterfragt, da es nur wenige schriftliche Quellen über Bautechniken oder die handwerkliche Praxis aus dieser Zeit gibt.
Ein offener Prozess
„Campus Galli – Das Mittelalter-Experiment“ beobachtet über sechs Jahre hinweg einen offenen Arbeitsprozess mit Versuchen und Irrtümern bei der handwerklichen Umsetzung, aber auch gruppendynamische Prozesse, etwa ob man, wie bei Projekten dieser Größe üblich, einen Betriebsrat braucht oder es lieber bei der Ordensregel des heiligen Benedikts belässt.
Die Einstellungen zum Leben und der Religion sind innerhalb der Gruppe ziemlich unterschiedlich. Eine Franziskanerin sieht eine spirituelle Macht am Werk, da Menschen, die nicht von Gott berührt sind, ein solches Projekt gar nicht durchhalten würden. Ein andere widerspricht der religiösen Deutung: „Wir sind kein kirchlicher Verein, sondern ein kulturhistorischer Zusammenschluss.“
Dramaturgisch ist die Langzeitdokumentation recht konventionell. Eine weibliche Off-Stimme geleitet durch Anschauungen und Arbeitsprozesse. Die Kamera ist solide und informativ, die Montage vielstimmig, der Film so vielschichtig wie lehrreich: Wie entstanden die 18000 Dachschindeln für die Holzkirche? Welcher Mörtel entspricht der mittelalterlichen Bauweise? Wie überleben (oder sterben) traditionelle Handwerksbetriebe in der nahegelegenen Stadt Meßkirch? Wie baut man eine Sonnenuhr?
Wie gießt man eine Glocke?
Sehr eindringlich wird der Bauprozess als eine Kette aus Versuch und Irrtum geschildert, wobei sich die immer wieder scheiternden Versuche, eine Glocke für die Klosterkirche zu gießen, als roter Faden durch den Film ziehen.
Die Arbeit mit den eigenen Händen ist erst dann fertig, wenn das Werk gelungen ist und nicht wie sonst auf Baustellen, wenn es der Termindruck diktiert. Letztlich, dass zeigt „Campus Galli“ fast beiläufig, werden Menschen ganz entscheidend von ihrer Arbeit geprägt. Auch wenn das Wort nicht fällt, ist „Campus Galli“ ein eindringlicher Film über Nachhaltigkeit und auch über existenzielle Fragen nach unseren Fähigkeiten und Bedürfnissen in der Arbeit und beim Umgang mit der Zeit.