Selten hat man New York so heruntergekommen gesehen: als hässliche Gegend mit leeren Bürgersteigen, vergammelten Parkplätzen und Industriebauten, rostigen Bussen und einer maroden Hochbahn. Wahrscheinlich ist es Brooklyn, jedenfalls ein armes Viertel, das der nigerianische Regisseur Andrew Dosunmu auch so in Szene setzt, dass die Armut sichtbar wird. Das Wohlstandsgefälle macht vor New York nicht Halt. In den dunklen Wohnblocks gibt es finstere Wohnungen, die von den Bewohnern im Laufe ihres Lebens vollgestellt wurden, so dass sie jetzt eng wirken, vom Alter so steif wie die Menschen, die in ihnen wohnen.
In einer solchen Wohnung lebt Kyra mit ihrer Mutter. Noch gar nicht lang, wie man erfährt; sie kam nach ihrer Scheidung hierher, weil es keinen anderen Ort gab, an den sie gehen konnte. Die beiden Frauen sind freundlich zueinander. Kyra hilft ihrer Mutter beim Baden in der Wanne, macht ein paar Handreichungen beim Anziehen, trinkt abends ein Schnäpschen mit ihr.
Lange Blicke durch Gänge und Türen
Die Kamera schafft es, die beiden Frauen in dieser Wohnung fast zu verlieren; sie beobachtet sie durch die Flucht des Flurs, in Spiegeln, durch Türspalte. „Wo ist Kyra?“ lautet der Titel des Films; häufig stellen die Bilder den Bezug dazu her. Grandiose Bilder, bei denen der Kameramann Bradford Young die Farben gedeckt hält, lenken den Blick stilsicher auf Alltagstableaus vor unscharfem Hintergrund; nur manchmal wird ein Gesicht in den Fokus geholt und lässt dem Zuschauer Zeit, es zu betrachten.
Kyra wird von Michelle Pfeiffer gespielt. Auch sie hat man selten so gesehen. Sie passt sich der Umgebung an, jeder Glamour ist abgestreift, trotzdem ist sie noch immer fast zu schön für diese Rolle. Es ist das Alter, das sie rettet, und die Reglosigkeit, mit der sie es offenlegt. Michelle Pfeiffer ist sechzig, das kann man hier sehen, während sie dem Zuschauer gleichzeitig zeigt, mit welcher Mühe Kyra ihr Alter zu kaschieren versucht. Sie blondiert ihren grauen Haaransatz und zwängt sich in Röcke, die zu eng sind; nebenbei wird klar, wie das Diktat der Jugend die Frauen nach wie vor im Griff hat. Kyra sucht einen Job. Es ist wichtig, dass sie nicht als „zu alt“ abgewimmelt wird. Also übt sie vor dem Spiegel ein frisches Lächeln und klappert die Vorstellungsgespräche in High Heels ab.
Bald kann sie die Miete nicht mehr bezahlen
Kyras Mühe hat etwas Verzweifeltes; der Film selbst ist außerordentlich verzweifelt. Er erzählt davon, was passiert, wenn Menschen das Geld ausgeht, ohne Freunde oder ein sozialstaatliches Netz. Deshalb muss er von Verzweiflung erzählen, im besten Fall von Kriminalität. Dazu kommt es, nachdem die Mutter stirbt. Mit ihr verliert Kyra auch die finanzielle Versorgung, denn ihre Jobsuche läuft ins Leere. Bald kann sie die Miete nicht mehr zahlen, bleibt aber dennoch in der Wohnung, angewiesen auf den guten Willen des Hausmeisters. Sukzessive verkauft sie die Möbel der Mutter; irgendwann werden Heizung und Telefon abgestellt. Schnell merkt Kyra, dass die Suche nach Arbeit ohne ein Telefon praktisch nicht möglich ist.
Man kennt die britische Variante solcher Sozialdramen aus den Filmen von Ken Loach, aber Kyra lebt in der USA; hier dauert die Einsicht, dass es mit dem amerikanischen Traum nichts mehr wird, ziemlich lang. Kyra braucht dafür etliche Momente der Demütigung, deren Peinlichkeit Michelle Pfeiffer fast schmerzhaft nuanciert über ihr Mienenspiel vermittelt. Ein solcher Moment tritt ein, wenn sie in einer Bar feststellt, dass sie ihren Drink nicht bezahlen kann. Während sie in ihrer Handtasche nach Münzen sucht, lernt sie Doug kennen, einen Krankenpfleger aus der Nachbarschaft. Der wird von einem anderen Hollywood-Star des letzten Jahrhunderts verkörpert, von Kiefer Sutherland. Beide gehen miteinander ins Bett, aber hauptsächlich bilden sie ab jetzt ein Bollwerk gegen die Härte der Außenwelt.
Doug ist die Stimme der Vernunft in Kyras zunehmender Hysterie, was aber nichts daran ändert, dass Kyra die Bank zu betrügen beginnt. Ihre Demütigung führt dazu, dass sie kriminelle Energien entwickelt. Sie weigert sich, kampflos den Weg in die Obdachlosigkeit anzutreten, und hat dafür alle Sympathien des Publikums.
Alte Freunde, lang nicht gesehen
Durch die Besetzung mit Pfeiffer und Sutherland erzählt der Film aber auch noch eine andere Geschichte, auf einer zweiten, hintergründigeren Ebene. Irgendwann stehen Kyra und Doug nachts vor einer Bar, an eine Bretterwand gelehnt, Biere in der Hand. Das Bild verharrt lang in dieser Totalen. Während die beiden so dastehen, dass man an ihrer Haltung erkennt, wie bitter die Kämpfe und das Scheitern, sieht man für einen Moment nicht mehr die Figuren des Films, sondern die Stars, die beide in den 1980er- und 1990er-Jahren rasant geworden waren. Die beiden werden wissen, was sie hier spielen, nachdem sie in den wichtigsten Zirkeln Hollywoods verkehrten, später daraus verschwanden und jetzt trotzdem wieder auf der Kinoleinwand zu sehen sind. Man erkennt sie wie alte Freunde, die man während ihrer Abwesenheit beinahe vergessen hätte. Dann aber verschwinden sie wieder in den Abgründen dieses Films, der seinen Figuren weiterhin jede Chance auf eine annehmbare Zukunft verweigert.