M - Eine Stadt sucht einen Mörder (2019)
Krimi | Österreich/Deutschland 2019 | 47, 47, 44 DVD: 292 (6 Teile) Minuten
Regie: David Schalko
Filmdaten
- Originaltitel
- M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER
- Produktionsland
- Österreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- TV Now/Superfilm Filmproduktions GmbH/ORF - Österreichischer Rundfunk
- Regie
- David Schalko
- Buch
- Evi Romen · David Schalko
- Kamera
- Martin Gschlacht
- Musik
- Dorit Chrysler
- Schnitt
- Christoph Brunner
- Darsteller
- Christian Dolezal (Kommissar) · Sarah Viktoria Frick (Kommissarin) · Murathan Muslu (Einsatzleiter) · Johanna Orsini-Rosenberg (Polizeipräsidentin) · Lars Eidinger (Vater Elsie)
- Länge
- 47, 47, 44 DVD: 292 (6 Teile) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (Folge 1) ab 16 (Folge 2,3)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Krimi | Serie | Thriller
- Externe Links
- TMDB
Heimkino
Die Miniserie liefert ein aktualisiertes Remake des gleichnamigen Kriminalfilmklassikers von 1931. Der Regisseur David Schalko und seine Autorin Evi Romen benutzen den Stoff von Fritz Lang und Thea von Harbou als Steinbruch, um ein groteskes Bild einer von Amoral zerfressenen modernen Gesellschaft zu zeichnen, die angesichts einer von Angst geprägten Stimmung in ihren demokratischen Grundfesten erschüttert wird und politisch nach rechts schlingert.
Es ist Winter in der Stadt. Doch keiner will sich durch Schneeflocken und geschmückte Auslagen in vorweihnachtliche Stimmung lullen lassen. Denn das Unheil bricht sich Bahn und trifft besonders all jene, die doch besonders Schutz bedürfen: In Wien geht ein Kindermörder um. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – dann steht er auch vor deiner Tür: Die kleine Elsie soll nur ihren vergessenen Mantel vom Spielplatz holen; doch dann wird sie unversehens eine dieser Nummern auf der Liste der Polizei.
Fritz Lang hatte 1931 in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ Elsie und ihre verzweifelte Mutter nur fürs schaurige Entrée und für die „Moral von der Geschichte“ benötigt. 88 Jahre später wird die Geschichte der Kindermorde neu und unter demselben Titel ganz anders erzählt: Der wegweisende frühe Tonfilm und Kriminalfilmklassiker aus der zerfallenden Weimarer Republik hat ein Remake in Form einer viereinhalbstündigen Miniserie fürs Fernsehen erfahren. Die Idee dazu hatte David Schalko, der sich seit 2010 mit „Aufschneider“ und 2012 mit „Braunschlag“ zu einem der innovativsten und abseitigsten deutschsprachigen Fernsehmacher entwickelt hat. Da passt es schon fast wieder, dass der 46-jährige Niederösterreicher als Koproduzenten neben dem ORF ausgerechnet den RTL-Streaming-Dienst TV Now akquiriert hat, einen Sender, der landläufig allenfalls als Wiederverwertungsplattform der RTL-Formate fungiert. Bizarre Randbedingungen für ein Projekt, das unter Cineasten sicherlich zunächst für Stirnrunzeln gesorgt haben dürfte.
Geht das? Oder ist „M“ anno 2019 ein Sakrileg?
Elsie ist also verschwunden, vielleicht sogar tot. Ihre Mutter ist apathisch – nicht unbedingt aufgrund der sich anbahnenden Tragödie; eine wirklich gute Mutter war sie nie. Ihr Vater schwankt zwischen Wut und Verzweiflung , hat er doch sein Töchterchen geliebt; zu Hause war er der Arbeit halber dennoch kaum.
Man mag Fritz Langs Geschichte noch erahnen, doch Schalko und seine Drehbuchautorin Evi Romen erzählen eine andere. Sie verlegen den Stoff ins Wien des Jahres 2018 und rücken diejenigen ins Zentrum, die einst nur die Peripherie bildeten, zum Beispiel die Opfer und ihre Familien. Man taucht in die zerrütteten Seelenwelten von Elsies Eltern ein, für die der Verlust der Tochter nur ein weiterer Schlag in ihrer gebeutelten Existenz ist: In beeindruckenden erzählerische Ellipsen wirft Schalko Schlaglichter auf den maroden Mittelstand. So entfaltet sich ein vielschichtiges Panorama: Da ist zum Beispiel der Vater der taubstummen Coco, eines weiteren Opfers von „M“: Er steht als Captain Hook auf der Bühne und gerät zwischenzeitlich auch in den Kreis der Verdächtigen. Oder der „Bleiche Mann“, der als Esoterik-Medium vorgibt, zumindest seelisch in Kontakt zu den Kindern zu stehen. Oder der Mann im Fuchspelz, der immer und überall nur Fotos macht – ein idealer „M“? Schalko spinnt in seinem winterlichen Wien viele Handlungsfäden, in die sich der Zuschauer verheddern soll.
Ein morbides Zeitbild ums Wien der Gegenwart
Die erste Hälfte der Serie macht teuflisches Vergnügen: sie entwirft fantastische Szenarien einer durch und durch morbiden Welt, in die geschickt ganz viel Zeitgeist eingewoben ist und die Identität des Mörders fast eine Marginalie zu sein scheint. Da ist zum Beispiel die Welt der Politik, die sich am Grauen labt, weil man sich an ihm so wunderbar profilieren kann: Der Innenminister, ein rechter Pfau, der mit seiner gespielten Attraktivität und seinen „Eiserner Besen“-Parolen die verängstigten Massen zu begeistern sucht. Da ist die Polizeipräsidentin, die mit ihrer ziemlich besten Freundin Geheimnisse teilt, nichtsahnend, dass diese sich längst im Wiener Politiksumpf suhlt. Da sind die Medien, die sich beispielhaft in Person eines extremistischen Verlegers mit den Machthabern gemein machen und ihren Einfluss gezielt nutzen, um Meinungen zu manipulieren. Und zwischen all diesem gutbürgerlichen, jung-dynamischen, national eingestellten Abschaum suchen ein prolliger Kommissar und eine kernseifige Kommissarin nach dem Mörder.
Damit schwingt sich die Serie zum grandios-dekadenten Sittenbild auf. Allerdings fühlen sich die Macher doch irgendwann bemüßigt, sich mehr an Langs Vorbild zu orientieren und noch die Kriminellen ins Spiel zu bringen, die sich im Originalfilm um die ungestörten Arbeitsbedingungen in ihrer Stadt sorgen und daher selbst nach dem Mörder fahnden. Und damit beginnen die Probleme der Serie: Die Chefin all der Bettler, Prostituierten und Diebe (grandios „over the top“: Sophie Rois) wird als groteske Furie voller Geheimnisse eingeführt – und hat dann außer Echauffiertheiten viel zu wenig Substantielles beizutragen. Ihr und ihren kriminellen Vasallen analog zu Fritz Langs Film eine Schlüsselrolle bei der Ergreifung und Hinrichtung des Kindermörders zuzuschreiben, passiert in der Serie hopplahopp im letzten Teil und wirkt aufgesetzt, monologreich, theaterhaft und ernüchternd.
Einen solch dicht am Original positionierten Abgang hat die Serie eigentlich nicht verdient – kann sie doch dabei nur verlieren. Denn „M“ von 1931 ist da unmöglich zu toppen. So kommt Schalko am Ende in dem zuvor so trefflich als Steinbruch genutzten Universum Fritz Langs ins Stolpern, sodass seine Horrorshow um ein Wien der Gegenwart, das geradewegs auf einen politischen Abgrund zusteuert, im Abgang unelegant, fast brav wirkt.