Was sagt es über eine Zeit, wenn „Grâce à Dieu“ von François Ozon nur unter einem Pseudonym produziert werden konnte, weil der titelgebende Verweis auf den Stoßseufzer „Gott sei Dank!“ des französischen Kardinals Barbarin das Filmprojekt als solches gefährdet hätte? Der öffentliche Lapsus des wortmächtigen Bischofs von Lyon, dass die Verbrechen seines Priesters Bernard Preynat, dem 70 Fälle von sexuellen Missbrauch zur Last gelegt werden, „Gott sei Dank“ ja verjährt seien, entwickelte sich 2016 in Frankreich zum geflügelten Wort: So geht die Katholische Kirche mit sexuellen Missbrauchsfällen um. Die Produktion begann deshalb unter einem Arbeitstitel, um Einflussnahmen oder Behinderungen zu vermeiden. Auch für die Dreharbeiten in kirchlichen Räumen musste Ozon nach Belgien und in die Niederlande ausweichen, weil er in Frankreich keine Hilfe fand. Selbst der Filmstart sollte juristisch noch unterbunden werden, obwohl „Gelobt sei Gott“, wie der Film in Deutschland heißt, kurz davor auf der „Berlinale“ 2019 seine Premiere erlebt hatte.
Die dunkel-drohende Eröffnungssequenz des ansonsten eher kammerspielartigen Dramas, in der Kardinal Barbarin von der „Notre Dame de Fourvière“-Basilika hoch über dem Fluss Saône die Stadt unter ihm segnet, bringt untergründig einen unheimlichen Ton ins Spiel, der auch über die markante Schlussvolte hinausklingt, in der das bischöfliche Zeichen göttlichen Beistands auf eine sehr persönliche, individuelle Ebene heruntergebrochen wird.
Bis in Details sorgfältig recherchiert
Dabei ist der bis in Details sorgfältig recherchierte und über weite Strecken geradezu authentische Film keineswegs auf eine beißende Kritik kirchlicher Autoritäten oder ihrer institutionellen Deformation aus. „Gelobt sei Gott“ gibt vielmehr den Opfern eine Stimme. Der Film zeichnet dramaturgisch zugespitzt die Ereignisse nach, die zur Gründung des Vereins „La parole libérée“ (Das gebrochene Schweigen) führten und in Frankreich erstmals eine Anlaufstelle schufen, die das ganze Ausmaß des Skandals sichtbar machte.
Zunächst ist es nur ein einzelner, Alexandre (Melvil Poupaud), ein gläubiger Katholik aus dem wohlhabenden Bürgertum von Lyon, der nach einem Gottesdienstbesuch darauf angesprochen wird, ob er in seiner Pfadfinderzeit auch von Bernard Preynat missbraucht worden sei. Die beschämende Erinnerung und die Erkenntnis, dass der Priester immer noch mit Kindern zu tun hat, veranlasst ihn, an den Kardinal zu schreiben und die Ablösung Preynats zu verlangen. Doch obwohl Alexandre angehört und sogar zu einem Treffen mit Preynat genötigt wird, der seine Verbrechen keineswegs abstreitet, passiert nichts weiter.
Bis Alexandre Anzeige erstattet. Die Recherchen der Behörde rufen François (Denis Ménochet) auf den Plan, der davon zunächst nichts wissen will, nachts aber wütend auf sein Schlagzeug eintrommelt und dann in die Offensive geht. Er sucht und findet andere aus der Pfarrgemeinde St. Luc, sammelt sie um sich und ruft mit ihnen „La parole libérée“ ins Leben. Darüber kommt dann auch der dritte Protagonist des Films, Emmanuel (Swann Arlaud) ins Spiel. Den wirft auch gleich ein epileptischer Anfall zu Boden, als ihm seine Mutter den Zeitungsausschnitt zuschiebt, wo von dem neuen Verein und den Anschuldigungen gegen Preynat die Rede ist. Der schmächtige Mann trägt am Sichtbarsten an den Traumata der Vergangenheit, die ihn nachhaltig aus der Spur geworfen haben.
Exemplarische Auseinandersetzung
Ursprünglich war François Ozon aber weder am Missbrauchsskandal noch an der Katholischen Kirche interessiert, sondern auf der Suche nach einem Stoff über fragile Männlichkeit. Bei der Recherche stieß er auf die Website von „La parole libérée“ und die dort veröffentlichten Lebensgeschichten missbrauchter Männer. Das beschäftigte ihn so sehr, dass er anfangs an ein Theaterstück und einen Dokumentarfilm dachte, dann aber doch die fiktive Form wählte, auch weil ihn die Opfer zu einer exemplarischen, dramaturgisch fokussierten und nicht bis ins Ungreifbare ausdifferenzierten Verdichtung drängten.
Der ausufernde Stoff bürdet dem zweieinhalbstündigen Drama eine erhebliche Last auf, mit mehr als einem Dutzend authentischer Figuren, vielen und vielschichtigen Erzählsträngen und Entwicklungen sowie einem ausgedehnten Redeanteil, in den auch noch die verschiedenen Milieus und Bildungsunterschiede eingearbeitet sind. Doch man staunt, wie souverän Ozon diese Fülle disparater Elemente bändigt und dabei auch noch die Chronologie der Ereignisse wahrt.
In gewisser Weise zerfällt „Gelobt sei Gott“ dabei in drei Abschnitte, die auch inszenatorisch unterschiedlich gefärbt sind. Alexandres Korrespondenz mit dem Kardinal dominiert aus dem Off den ersten, oft in kirchlichen Räumen spielenden Teil; der Charakter des bulligen François prägt auch filmsprachlich den kämpferischen Mittelteil, während mit der prekären Existenz des „Zebras“ Emmanuel Ästhetik und Dramaturgie Richtung Sozialdrama tendieren, ohne dass die Einheit des ganzen Films in eine Schieflage geraten würde.
Mehr ein Film der Worte als der Bilder
„Gelobt sei Gott“ ist mehr ein Film der Worte als der Bilder. Nach Jahrzehnten der Verdrängung und des Schweigens drängt die Vergangenheit wortreich in die Gegenwart, als gesprochenes Wort, aber auch in Gestalt von Briefen, Dokumenten, Zeitungsnotizen. Ozons Bildfindungen kämpfen tapfer gegen die Fülle der Mitteilungen und ruhen auf wenigen pointierten Einstellungen, in denen sich auch Halbtotalen zu exemplarischen Momenten verdichten. Auffällig ist die vollkommene Abwesenheit imaginärer oder fantastischer Elemente, die Ozons Filme sonst oft kennzeichnen. Es gibt zwar Rückblenden in die Vergangenheit der Protagonisten, doch wird deren Realitätsgehalt nicht in Frage gestellt, sondern sie dienen ausschließlich dazu, die Missbrauchserfahrungen zu beglaubigen.
Auch die Verwendung der wirklichen Namen der Betroffenen und der weitgehende Einbezug ihrer realen Lebenswelten definieren „Gelobt sei Gott“ als ein „dokumentarisches“ Drama, das den Opfern des von der französischen Kirche noch immer kaum aufgearbeiteten Missbrauchs eine unüberhörbare Stimme leiht.
„Grâce à Dieu“: Bei der Pressekonferenz weist im Film ein beherzter Journalist den Kardinal zurecht, in der Wirklichkeit sind es das Recht und die Gerichte. In der Folge des Skandals wurde die Verjährungsfrist für sexuelle Missbrauchsdelikte in Frankreich von 20 auf 30 Jahre erhöht und Philippe Kardinal Barbarin in erster Instanz zu einer halbjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er die Straftaten Preynats nicht angezeigt hatte.