Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Mitte der 1980er-Jahre verbrachten die jugendlichen Krachmacher Destructor, Necrobutcher und Morbid eine schöne Zeit in Oslo, wo sie als Metalband „Mayhem“ im elterlichen Keller probten. Destructors bürgerlicher Name lautet Ǿystein Aarseth (1968-1993). Er, der später unter dem Pseudonym „Euronymous“ berühmt wurde, fungiert in „Lords of Chaos“ als nicht ganz zuverlässiger Erzähler – der Regisseur des Films, Jonas Akerlund, der sich durch zahlreiche, mitunter kontroverse Musikvideos von Rammstein bis Madonna und das Montage-Meisterwerk „Spun“ einen Namen gemacht hat, ließ sich dabei offensichtlich von Billy Wilders „Sunset Boulevard“ inspirieren.
Die Story von „Lords of Chaos“ gehört zu den wohl am häufigsten kolportierten Geschichten aus dem Metal-Universum. Es geht um die norwegische Black-Metal-Szene zwischen den Jahren 1984 und 1993, zentriert um „Mayhem“ und den charismatischen Gitarristen Euronymous (Rory Culkin) sowie dessen komplizierte Beziehung zu dem Musiker Varg „The Count Grishnackn“ Vikernes (Emory Cohen) und dessen Solo-Projekt „Burzum“.
Satanisch-völkische Extreme
Akerlund, früher selbst Schlagzeuger der schwedischen Metalband „Bathory“, erzählt die auf „Wahrheit und Lügen“ (Insert) basierende Geschichte als Entwicklung einer jugendlichen Subkultur von ihren Anfängen mit „Spaß haben, saufen und laute Musik hören“ (Euronymous) bis zu den Humanismus und Christentum verhöhnenden, gewaltverherrlichenden, satanistisch-völkischen und neuheidnischen Extremen. Aus der Perspektive der Beziehung zwischen den konkurrierenden Protagonisten Euronymous und Vikernes erscheint die Geschichte retrospektiv fast als eine Variation des Zauberlehrlings.
Akerlund beginnt den auf einem gleichnamigen Sachbuch beruhenden Film rasant und erzählt immer mit einer gewissen ironischen Distanz zu den Protagonisten, denen es zunächst darum geht, möglichst „böse“ zu erscheinen und zu klingen. Vor dem Hintergrund des ländlich-provinziellen Norwegen mit seiner christlichen Kultur und Folklore gewinnt die einschlägige Black-Metal-Welt eine provokante Fallhöhe, wenngleich der Film gerade die Entwicklung ausspart, wie die Splatter-Fantasien des Death Metal in einen radikalen Flirt mit dem Okkulten, Rassistischen und Nazistischen umschlugen.
Die Ausarbeitung einer geschlossenen Ideologie, die zumindest von Teilen der Subkultur gepflegt wurde, bedürfte auch eines erheblich größeren finanziellen wie mentalen Aufwands, den sich der Film zugunsten provokanter Sprüche spart. Stattdessen konzentriert sich die Inszenierung auf die Darstellung einer Reihe von Anekdoten auf dem schmalen Grat zwischen schwarzer Komödie und expliziter Gore-Ästhetik. Etwa als 1988 der schwedische Sänger Per Yngve „Dead“ Olin eingewechselt wurde, der gerne Tierkadaver bei sich trug, seine Bühnen-Outfits in der Erde verbuddelte und sich bei Konzerten die Arme aufschlitzte, um dem Publikum eine Blutdusche zu verpassen. Olins Habitus erschien den anderen Bandmitgliedern zwar recht eigenwillig, authentifizierte jedoch die Hinwendung der Band zum Dunkel-Depressiven. Im Frühjahr 1991 tötete sich Olin recht spektakulär mit Messer und Schrotflinte. Als Euronymous die Leiche entdeckte, fotografierte er den Tatort, um Material für Schallplattencovers zu haben, und fertigte aus den Schädelknochen Amulette für den inneren Kreis der Szene an.
Euronymous, der gerne das große Wort führte und sich als Protagonist der Szene verstand, dankte Olin explizit für die Band-„Promotion“ durch seine Selbsttötung; sein Bedauern hielt sich in Grenzen. Wenn Todessehnsucht zur Selbsttötung führe, sei das nur konsequent und nicht zu beklagen.
Die „Hölle“ als Durchlauferhitzer
In der Folge eröffnete Euronymous in Oslo den Plattenladen „Helvete“ (norwegisch für Hölle), der sich zum Treffpunkt der sich radikalisierenden Szene entwickelte. Was auch damit zu tun hatte, dass mit Vikernes ein Akteur hinzukam, der Euronymous’ Führungsposition in Frage stellte. Von „Helvete“ gingen 1992/93 eine Reihe von Kirchenbrandstiftungen und ein Mord an einem Homosexuellen in Lillehammer durch einen befreundeten Schlagzeuger aus.
Verglichen mit dem charismatischen und zunehmend den Regeln des Musikbusiness verpflichteten Euronymous wirkt Vikernes in „Lords of Chaos“ wie ein autistischer Soziopath mit festem Glauben an die Sache und hoher Gewaltbereitschaft; immer wieder registriert Vikernes, wie Euronymous die Fans übervorteilt und sich als wortmächtiger „Poser“ entpuppt. Vikernes wird als Bassist von „Mayhem“ verpflichtet, doch es kommt immer wieder zu Spannungen und „Sell out“-Vorwürfen zwischen den beiden Protagonisten, wobei Euronymous gerne Morddrohungen gegen seinen Kontrahenten ausspricht. In Vikernes’ Version der Ereignisse vom 10. August 1993, als er Euronymous mit zahlreichen Messerstichen tötet, wollte er damit seiner eigenen Ermordung zuvorkommen.
Drei explizite Bluttaten
Akerlund zentriert die Erzählung um die drei explizit und schmerzhaft inszenierten Bluttaten, was dem Film seinen anfänglichen Humor peu à peu austreibt. Der Regisseur macht zudem keinen Hehl daraus, wem im finalen Konflikt seine Sympathien gehören. Insofern ist „Lords of Chaos“ ein durchaus sehenswerter, stark dem Dokumentarischem verpflichteter Beitrag zum Thema „Gewalt und Ästhetik“, wobei hier der Ermordete, ganz im Sinne der Figur, das letzte Wort erhält, wenn die Montage Trauer mit Nostalgie verknüpft: „Stoppt diesen sentimentalen Scheiß! Stop! Es ist nichts Trauriges um meinen Tod und mein Leben. Ich bin Euronymous, Gründer von ,Mayhem‘, der berüchtigsten Black-Metal-Band der Welt. Ich besaß einen eigenen Plattenladen, mein eigenes Plattenlabel. Ich habe ein ganz neues musikalisches Genre begründet: echten norwegischer Black Metal. Ich stehe für ,Mayhem‘. Und was zum Teufel hast Du zuletzt so geleistet? Poser!“
Der Mord an Euronymous bezeichnete einen Bruch in der Geschichte des Black Metal, dessen wichtigste Vertreter in der Folge ihre Radikalität künstlerisch in eine forcierte Theatralität umwandelten und die Gewaltmacke des Genres einzuhegen verstanden. Auch Vikernes, mittlerweile bekennender „Odinist“ und 2009 auf Bewährung aus der Haft entlassen, hat als „Burzum“ weiter Musik produziert. Er ist mittlerweile bei Dark Ambient gelandet.