Berk ist 17 Jahre alt und Sohn eines erfolgreichen türkischen Geschäftsmannes. Sein Vorname bedeutet „kräftig“, „stark“, „solide“. In gewisser Weise ist er das auch – ein robuster, männlicher Körperpanzer, der trotzig in seinem eigenen Tempo, mit düsterer Miene und auf Umwegen den Weg entlangschlurft, den ihm seine Familie vorzeichnet. Berk ist privilegiert. Seine Familie gehört zu der Gruppe der Superreichen. Alles, was man mit Geld kaufen kann, kann Berk haben. Was dies in Zahlen bedeutet, bleibt ungesagt. Aber klar wird, dass der Geldstrom nicht versiegen wird. Es sei denn, Berk entspricht nicht den elterlichen Erwartungen.
Um diese schmale Gratwanderung zwischen Selbstbestimmung und Erwartungserfüllung geht es im Dokumentarfilm des polnischen Regisseurs Radek Wegrzyn. Vor der Kulisse der abgelegenen und sehr teuren Schweizer Internatsschule Leysin American School blickt er auf das, was für gewöhnlich jeden Teenager umtreibt – hier allerdings im von der Außenwelt abgeschotteten Umkreis der oberen Zehntausend.
Funktional-schlicht, streng, altbacken
Von Anfang an unterläuft nicht nur Berk die Erwartungen, indem er seine Energie mehr in seine Freizeitgestaltung als in die Arbeit für den bevorstehenden Schulabschluss zu stecken scheint. Auch der Film enttäuscht, wenn man sich Aufnahmen von Luxus, Glitzer, Exzess und Verschwendung wie in Trash-Formaten im Fernsehen über superreiche Familien erhofft. Käme der finanzielle bzw. familiäre Background der Schülerinnen und Schüler anfangs nicht zu Sprache, könnte man meinen, das Internat sei auch für „Normalreiche“ erschwinglich: Die Einrichtung ist funktional und schlicht, die Verhaltensregeln sehr streng, der Kleidungsstil sportlich-entspannt. Die Schulkantine wirkt so altbacken wie die pädagogischen Methoden. Und wenn Berk mal so richtig über die Stränge schlägt, dann hält er sich an einfache Freuden und macht mit seinen Kumpels ein Feuerchen, trinkt Bier oder geht zum Angeln.
Diese Bilder jenseits von Sensation oder Klatschgeschichte sind interessant, aber auch problematisch. Interessant vor allem deshalb, weil man sich als Zuschauerin kritisch hinterfragen muss, warum man andere Vorstellungen hat. Problematisch, weil die Geschichten sich in Beliebigkeit verlaufen. Dass Berk eine andere Definition von Glück und Karriere als sein Vater verfolgt, ist nichts Ungewöhnliches. Den Druck, in die Fußstapfen der älteren Generation(en) treten zu müssen, verspürt jedes Kind, das ein Familiengeschäft übernehmen oder eine berufliche Tradition fortsetzen soll.
Ein Musical soll’s richten
Was Berk und seine Mitschüler vom Rest der Welt unterscheidet, ist indes, dass sie mit der Kraft ihrer Milliarden und ihren Familiennamen tatsächlich etwas in der Welt verändern könnten. Als künftige Führungskräfte sollen sie im Unterricht visionäre Wirtschaftsprojekte entwickeln, die sie nach der Schule umsetzen könnten. Weil Berk auch hier schlingert, trotz merklichem Interesse am Thema, wird er zum Beratungslehrer geschickt und fürs Schulmusical verpflichtet.
Von da an fügt sich das dokumentarische Genre in eine klassische High-School-Drama-Erzählstruktur ein, mit all ihren Vorhersehbarkeiten: Der Erfolg in der Kunst soll als Schlüsselerlebnis für den schulischen wie persönlichen Durchbruch sorgen. Als Berk am Schuljahresende entgegen aller Bemühungen dennoch am Abgrund steht, wirft ihm der Schulleiter als personifizierter Deus Ex Machina in letzter Minute einen unverhofften Rettungsreifen zu. Kein Happy End ist anscheinend keine Option auf dem Zauberberg.
Ist Berk überhaupt ein kritischer Fall?
Möglicherweise macht es also doch einen Unterschied, wieviel Geld und Einfluss eine Familie hat? Im Tausch gegen Bares wird jeder noch so hoffnungslose Fall durchgeschleift? Doch ist Berk überhaupt ein schwieriger Fall? Zählen sein kritischer Blick und seine Widerborstigkeit nicht vielmehr zu den Qualitäten eines mündigen Bürgers? Die Fragen, die „Die Schule auf dem Zauberberg“ aufwirft, regen durchaus zum Nachdenken an.
Die filmische Umsetzung ist allerdings durchwachsen. Es geht mehr um Berk als um die im Titel angepriesene Schule. Andere Personen haben lediglich kurze Auftritte und wenig Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. So verkommen die Mitschüler zu Stichwortgebern; das Schulpersonal schrumpft zu Karikaturen (denkwürdig etwa die Auftritte der skurrilen Sicherheitsbeauftragten, die ohne jeden narrativen Zusammenhang erfolgen). Auch visuell wirkt der Film wie aus einem Haufen Aufnahmen zusammengepuzzelt, ohne erkennbares ästhetisches Konzept.
Das mag auch daran liegen, dass der Film erst im Nachhinein am Schneidetisch entstanden ist, und zu Drehbeginn noch unklar war, in welche Richtung die Geschichte sich entwickelt oder wer sich als Protagonist herauskristallisiert. Während Berk in seiner Orientierungslosigkeit doch klar Position beziehen kann („Ich kann akzeptieren durchzufallen, aber nicht, dass mein Vater mich dann nicht mehr liebt“), präsentiert sich der Film durch und durch unentschlossen. Am Ende bleibt vor allem die zweifelhafte wie banale Botschaft hängen, dass Glück nicht käuflich ist. Oder doch?