Meine Welt ist die Musik - Der Komponist Christian Bruhn
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 83 Minuten
Regie: Lisa-Marie Reich
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- MFR Filmprod.
- Regie
- Lisa-Marie Reich
- Buch
- Lisa-Marie Reich · Constantin Ried
- Kamera
- Salomé Lou Römer
- Schnitt
- Rainer Schmidt
- Länge
- 83 Minuten
- Kinostart
- 10.01.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Musikdokumentation
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarisches Porträt des äußerst erfolgreichen Schlagerkomponisten und Musikproduzenten Christian Bruhn, der auch viele Melodien für Film und Fernsehen geschrieben hat.
Dem Komponisten Christian Bruhn mangelt es sicher nicht an Selbstbewusstsein; doch eine gewisse Altersmilde trägt viel zum Gelingen dieses erstaunlichen Porträtfilms bei, der mehr auf das Gespräch als auf das Archiv setzt. Ungefähr 2500 Kompositionen hat der 1934 nahe Hamburg geborene Bruhn bei der GEMA gemeldet. Nicht alle davon wurden unvergessliche Hits, doch das gute Dutzend Songs von „Zwei kleine Italiener“ über „Marmor, Stein und Eisen bricht“, „Wunder gibt es immer wieder“ und „Ein bisschen Spaß muss sein“ bis hin zu Musiken für Fernsehserien wie „Heidi“, „Timm Thaler“ oder „Captain Future“ rührt ans popkulturelle Unterbewusstsein und bringt manche Saite zum Klingen.
Bruhns erklärtes Credo, „Ich will nicht auf der Straße erkannt werden. Ich will auf der Straße gepfiffen werden“, zelebriert der äußert kurzweilige, höchst interessante Film in einer sehr schönen Szene, in der man Bruhn auf dem Oktoberfest sieht, als eine Kapelle „Marmor, Stein und Eisen bricht“ anstimmt – und das Publikum textsicher ausrastet. Das, so Bruhns zufriedener Kommentar, sei der Lackmustest für einen Schlager: dass er auch nach 50 Jahren noch als Evergreen eine solche Wirkung entfalte.
Schwierig kann jeder. Die einfache Form ist schwerer
Die Filmemacherin Marie Reich hat einschlägige Zeitzeugen und Kollegen wie Ralph Siegel, Klaus Doldinger, Harold Faltermeyer oder Curt Cress vor die Kamera geholt, um dem Komponisten einen Kranz zu flechten. Christian Bruhn ist ein Perfektionist, der den kreativen Input aller Beteiligten zu schätzen wusste und ihnen, ganz auf der Höhe des Zeitgeists, viele Freiheiten ließ. Die Sängerin und Ex-Ehefrau Katja Ebstein („Wunder gibt es immer wieder“) bringt es auf den Punkt: „Schwierig kann jeder, die einfache Form ist schwerer.“
Was für die Welt des Schlagers sicherlich zutrifft, zumal auch Bruhn erfahren musste, dass das Publikum – wenn es die Wahl zwischen „Ein bisschen Spaß muss sein!“ und dem Burt-Bacharach-affinen „Sonntag im Zoo“ hätte – unnötigen kompositorischen Ballast scheut.
Der umfassend gebildete, passionierte Mozart- und Jazz-Fan Bruhn hat es sich zur Aufgabe gemacht, das nur scheinbar Einfache oder tatsächlich Einfache zu perfektionieren. Der Film gewährt einen Blick in eine deutsche „Tin Pan Alley“ (in der New Yorker „Zinnpfannengasse“ waren zwischen 1900 und 1930 fast alle US-Musikerverlage angesiedelt), wo kreative Komponisten, Texter und Produzenten unter nahezu industriellen Bedingungen Einfälle produzieren und katalogisieren. Weggeworfen wurde hier anscheinend nichts.
Manchmal holte man eine alte Komposition mit einem prägnanten Refrain einfach aus der Schublade, verlangsamte das Tempo, ergänzte oder erweiterte den Text – und fertig war der Hit, der es 1970 immerhin auf das Podest beim „Grand Prix d’Eurovision“ schaffte. Oder es gibt die Idee zu „Wärst du doch in Heidelberg geblieben“, obwohl doch gerade noch „Memories of Heidelberg“ in aller Ohren klingt. Bruhn hatte den passenden Einfall: eine vierfache Alliteration. So in etwa: Wärst du doch in Düsseldorf geblieben!
„Timm Thaler" in Moll
Augenzwinkernd, aber auch nicht ohne Stolz plaudert der Komponist aus dem Nähkästchen, spielt seine Hits am Flügel an und fragt in die Kamera: „Das kann jeder – oder nicht?“
Mindestens so stolz wie auf seine Evergreens ist Bruhn jedoch auf die Kompositionen, bei denen der Zufall und das Talent der beteiligten Musiker einen Auftrag in etwas ganz Besonderes verwandelte wie etwa das Titelthema zur „Timm Thaler“-Serie, das nur in Moll seine Wirkung entfaltet, oder die im Stil des „Sound of Munich“ discofizierte Musik zu „Captain Future“, deren Groove noch heute einen renommierten Plattenaufleger wie DJ Hell auf den Plan ruft. Der erhält erstaunlich viel Raum im Film, lässt sich eine Terz zu devot durch das Studio von Bruhn führen, verdrückt die ein oder andere Träne im Angesicht der Usancen analoger Musikproduktion und schickt ein Gebet Richtung Himmel, wenn er dem Meister seinen „Timm Thaler“-Remix vorspielen darf.
Bruhn, Sohn eines Kunstmalers und einer Pädagogin, verweigerte zweimal das Abitur und absolvierte stattdessen, um der „bildungsbürgerlichen Spießerwelt zu entkommen“ (Bruhn), lieber eine Malerlehre, ehe er als von der Mutter protegierter und vom Vater verachteter „Versager“ (Bruhn) an die Unterhaltungsmusik verloren ging.
Letztlich wählte Bruhn den riskanten Weg des Berufsmusikers, angetrieben von zwei Impulsen: nicht arm zu bleiben und sich jedes Buch kaufen zu können, das ihm gefiel. Beide Wünsche – und noch einige mehr – sind in Erfüllung gegangen. Dass er über der Liebe zur Musik sein Familienleben eher versäumt hat, scheint – nach fünf Ehen – von den Familien zumindest im Nachhinein akzeptiert worden zu sein.