„Gay Conversion Therapy“, zu Deutsch „Reparativtherapie“, wird auch heute noch in 36 US-Staaten aktiv betrieben. Eltern, die nicht damit zurechtkommen, dass ihr Kind homosexuell ist, weil sie das entweder als eine Strafe Gottes oder für eine fatale Wahl betrachten, schicken ihre Kinder in sogenannte Camps, wo Scharlatane unterschiedlicher Provenienz „Heilung“ versprechen.
Nach der Autobiografie von Garrard Conley, beschreibt der Schauspieler und Regisseur Joel Edgerton in „Der verlorene Sohn“ das Schicksal eines dieser unglückseligen Opfer einer fehlgeleiteten Religiosität und missverstandenen Elternpflicht.
„Mit meinem nächsten Projekt nach ,The Gift‘ wollte ich etwas Positives und Bewegendes machen“, sagt Edgerton. Er selbst übernahm die Rolle des Erziehers, der das Therapiezentrum leitet, eine seltsam zwischen Heilanstalt und Kaserne changierende Institution im ländlichen Arkansas. Nicole Kidman und Russell Crowe spielen die Eltern des 19-jährigen Jared, dessen Verwirrung über seine ihm selbst unerklärlichen sexuellen Neigungen zu den besten Szenen des jeder Schuldzuweisung abholden Films gehören. Der Vater betreibt eine Autofiliale und predigt sonntags in der örtlichen Baptistenkirche, die Mutter ordnet sich der von ihr erwarteten Rolle unter, bricht allerdings am Ende des Films zu entschlossener Selbstbehauptung auf.
Religiös verbrämtes Umerziehungsprogramm
„Love in Action“ nennt sich das Heim, in das Jared zunächst probeweise geschickt wird. Nach außen getarnt als quasi-religiöse Institution, aber geleitet von einem strikten Direktor, der keinerlei Qualifikationen vorweisen kann, enthüllt sich die Schulung, an der Jared teilzunehmen hat, schrittweise als ein religiös drapiertes Umerziehungsprogramm, das sich damit brüstet, Homosexualität ausmerzen zu können, in Wirklichkeit aber soldatischem Drill und erzwungener Unterordnung näher kommt als der behaupteten psychologischen Beratung.
Edgerton scheint sich der Schwierigkeit deutlich bewusst gewesen zu sein, Jareds (Leidens-)Geschichte ohne pauschale Verdammung der an seiner „Konversion“ Beteiligten zu erzählen. Der Film ist durchgängig in matte Farben und unscharfe Konturen getaucht, was bald wie ein Symbol für die schwer durchschaubaren, unterschiedlich interpretierbaren Motivationen aller Beteiligten wirkt. Die Eltern werden nicht verurteilt, noch der Heimleiter dämonisiert. Obwohl Klischeebilder vergleichbarer Filme – von „Einer flog übers Kuckucksnest“ bis zu „The Miseducation of Cameron Post“ – ebenso wie der Selbstmord eines verzweifelten Mitinsassen nicht ausgelassen werden, bleibt Edgerton stets ein distanzierter Erzähler. Die Gesichter seiner Darsteller vermitteln das Drama, begründen die Zweifel, erhärten das Leid.
Ein Film aus lauter Großaufnahmen
Der Film ist nicht nur ein Film über Jared und was ihm widerfährt, sondern auch über dessen Familie, vor allem über den inneren Konflikt des Vaters, der von Russell Crowe meisterhaft gespielt wird. Die Kamera konzentriert sich immer wieder in Großaufnahme auf die Darsteller, weshalb die Enormität des Erzählten mehr aus den Reaktionen der Figuren als aus den Details der psychischen Misshandlungen deutlich wird.
Selten wurde eine Anklage im Kino mitfühlender, aber gleichzeitig weniger aufgebauscht. Wenn in den Schlusstiteln die nüchterne Anmerkung steht, dass nicht weniger als 700.000 US-amerikanische Jugendliche den Horror einer solchen „Reparativtherapie“ über sich ergehen lassen mussten, reicht das vollauf, um die Dringlichkeit dieses Films zu bestätigen.