In „#Female Pleasure“ forscht die Schweizer Dokumentaristin Barbara Miller den Wurzeln der (sexuellen) Unterdrückung von Frauen nach. Trotz seines heiklen und für fünf Protagonistinnen recht schmerzlichen Themas vermittelt der Film eine überwiegend positive Aufbruchsstimmung und fordert Frauen wie Männer zum Umdenken auf.
„#Female Pleasure“ beginnt mit einer assoziativen Montage krasser Gegensätze: Hochglanzfotos, auf denen halbnackte Frauen nicht selten neben gut angezogenen Männern für irgendetwas werben. Dazwischen gibt es soft Erotisches und Szenen vor religiösen Kultstätten. Auch hier sind die Männer wohlangezogen, die Frauen aber verstecken ihr Haar unter Schleiern und Perücken oder verhüllen ihre Körper in einer Ordenstracht, einer Abaja. Auf der Tonspur gibt es dazu ein Crescendo an Aussagen. Eine Inderin sagt: Frauen haben kein Recht auf ihren eigenen Körper oder ihre eigene Sexualität. Der Jüdin wurde schon als Kind beigebracht, dass alles Schlechte auf der Welt eine Strafe Gottes dafür ist, wie junge Frauen sich kleiden. In Japan sollten Frauen möglichst unsichtbar sein; in der Welt christlicher Kleriker wird die Frau als Gefahr wahrgenommen. Und die Muslimin Leyla Hussein sagt im Off: „Sie kontrollieren und verstümmeln uns. Sie schlagen und vergewaltigen uns. Und danach klagen sie uns wegen unseres Geschlechtes an.“
"(Ehelicher) Sex mit einem Fremden"
Es ist ein heftiger Rundumschlag zur Einstimmung auf ein so allgegenwärtiges wie weitgehend tabuisiertes Thema: die (sexuelle) Unterdrückung der Frau beziehungsweise die Unterdrückung ihrer Sexualität. Danach bricht die puzzleartige Montage des Films auf und gibt den fünf Protagonistinnen Raum. In Brooklyn, New York, wo Deborah Feldman inmitten einer chassidischen Gemeinschaft abgeschottet wie auf einer Insel heranwuchs. Sie machte alles mit, wurde als 17-Jährige von ihrer Familie verheiratet und heulte beim (ehelichen) „Sex mit einem Fremden“; ein Kind wurde trotzdem gezeugt. Ihr Sohn und die Verantwortung, in der sie plötzlich stand, veränderten ihr Bewusstsein. Eines Tages brach sie aus. Ihr Buch „Unorthodox“, in dem sie sich von ihrer jüdischen Herkunft losschreibt, war notwendig, um eine öffentliche Person und damit „unantastbar“ zu werden.
Es braucht nicht nur viel Nachdenken, ein geschärftes Bewusstsein und Mut, sondern auch Cleverness und Klugheit, um aus den seit der Kindheit vertrauten Strukturen auszubrechen, die zugleich ja auch Zuhause, Heimat und Familie bedeuten. Jede der fünf Protagonistinnen hat Ähnliches erlebt. Alle stehen, ähnlich wie die Menschenrechts-Bloggerinnen, denen sich Miller in „Forbidden Voices“ widmete, im rauen Wind der Öffentlichkeit: Die Somalierin Leyla Hussein, die als Siebenjährige beschnitten wurde, heute eine Tochter hat und als Psychotherapeutin und Aktivistin rund um die Welt über weibliche Genitalverstümmelungen aufklärt. Die aus einer buddhistischen Familie stammende Japanerin Rokudenashiko, die in Mangas und Performances gegen die Verteuflung der weiblichen Sexualität zu Felde zieht und ihre provokative Kunst auch schon vor Gericht verteidigen musste. Die Inderin Vithika Yadav, die als Mädchen vielfach sexuell belästigt wurde, sich dann aber zu wehren begann und heute als erste Frau ihrer Familie in einer nicht arrangierten Ehe lebt und die Inderinnen via Online-Plattform und Straßenaktionen ermuntert, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen. Die Fünfte ist die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner, die öffentlich erzählt, dass sie ihren mehrfachen Vergewaltiger und ehemaligen Vorgesetzten juristisch nicht anklagen kann, weil er sie nicht mit einer Waffe bedrohte, und dass ihr Schreiben an Papst Franziskus nie beantwortet wurde, in dem sie bat, diesem Treiben Einhalt zu bieten.
Die Unterdrückungen von Frauen wurzelt in der Religion
Miller lässt ihre Protagonistinnen erzählen, zeigt sie in ihrem Alltag, begleitet sie bei Aktionen, im Privaten, mit Partnern und Kindern. Es ist nichts bahnbrechend Neues, was in dem Film erzählt wird, der zwischendurch immer wieder Ausschnitte aus den heiligen Schriften, Koran, Thora und Bibel einblendet. Doch in der Summe führt „#Female Pleasure“ zu einer Erkenntnis, wie sie in dieser Klarheit und Schärfe bislang selten formuliert wurde: Dass die Unterdrückung und der sexuelle Missbrauch von Frauen ein durch Religionen und Traditionen begründendes Phänomen ist, das sich in allen Kulturen der Welt – oder zumindest in denen, die Miller unter die Lupe nimmt – ähnlich zeigt.
Um dagegen anzukämpfen, braucht es Frauen, die couragiert ausbrechen und wie Deborah Feldman, Leyla Hussein, Doris Wagner, Vithika Yadav und Rokudenashiko einen Dialog anschieben. Die fünf prägen den Film mit ihren starken Persönlichkeiten. Auch wenn sie im Erzählen über Privates und Intimes mitunter schmerzhafte Punkte erreichen, so vermitteln sie doch eindrucksvoll, dass sich der Kampf lohnt. Tabus lassen sich nur brechen, indem man über sie spricht, und Verhältnisse können nur verändert werden, wenn sie in Frage gestellt werden und man selbst zu Veränderungen bereit ist.
Wichtiger Beitrag zur Gesellschafts- und Gender-Debatte
„#Female Pleasure“ ist, auch wenn Männer darin nicht zu Wort kommen und auch nicht gefragt wird, ob die (sexuelle) Unterdrückung von Frauen noch andere Gründe als religiöse hat, ein enorm wichtiger Beitrag zur aktuellen Gesellschafts- und Gender-Diskussion, der zentrale Denkanstöße vermittelt.