Ein elfjähriges afghanisches Mädchen und deren Familie geraten nach der Machtergreifung der islamistischen Taliban in Afghanistan in Bedrängnis. Als der Vater verhaftet wird und Mutter wie Geschwister ohne männliche Begleitung das Haus nicht verlassen können, verkleidet sich das Mädchen als Junge, um sich in Kabul bewegen zu können. Im Stil des Silhouetten-Films setzt der nach einem Kinderbuch entstandene Animationsfilm das geistige Refugium, das sich die Familie inmitten einer unerträglichen Wirklichkeit schafft, in Bilder um, die von der Möglichkeit eines Lebens in einem kriegsversehrten Land erzählen.
- Sehenswert ab 12.
Der Brotverdiener
Animation | Irland/Kanada/Luxemburg 2017 | 94 Minuten
Regie: Nora Twomey
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE BREADWINNER
- Produktionsland
- Irland/Kanada/Luxemburg
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Aircraft Pictures/Cartoon Saloon/Mélusine Productions/CBC/Gaia Entertainment/Gkids/Guru Animation Studio/Jolie Pas Production
- Regie
- Nora Twomey
- Buch
- Anita Doron
- Musik
- Jeff Danna · Mychael Danna
- Schnitt
- Darragh Byrne
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
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- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Genre
- Animation | Coming-of-Age-Film | Familienfilm | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Nurullah erzählt eine Geschichte. Es ist die Geschichte seiner Heimat. Kriege haben das Land geprägt, vom antiken Ariana bis ins moderne Afghanistan. In Scherenschnitt-Animationen erscheinen die Eroberer, von Kyros über Alexander und Dschingis Khan bis zu den Kolonialisten aus England und Russland, vor dem Panorama des Hindukusch, der nach einer kurzen Periode des Friedens wieder von den Flammen des Bürgerkriegs eingeschlossen wird.
Nurullahs Geschichte kehrt in die Gegenwart zurück, wo sich der Preis offenbart, den so viele Afghanen für das Blutvergießen in der Vergangenheit, aber auch für die fragile Friedensperiode im gegenwärtigen Islamischen Staat Afghanistan zahlen müssen. Ein junger Mann mit Peitsche brüllt Nurullah an. Er habe seine Tochter Parvana nicht mit auf den Marktplatz zu bringen. Sie, eine Elfjährige, sollte längst verheiratet sein und sich nicht in der Öffentlichkeit herumtreiben. Als die Männer Nurullah zwingen aufzustehen, ist sein über dem Knie amputiertes Bein zu sehen.
Eine Szene, die recht genau die Perspektive beschreibt, aus der Regisseurin Nora Twomey nach der Graphic Novel „Die Sonne im Gesicht“ eine afghanische Lebensrealität kurz vor dem 11. September 2001 beschreibt. Die Geschichte des Landes, die als grober Scherenschnitt nie konkret ausformuliert wird, ist in der Gegenwart als körperliches und seelisches Leid immer wieder sichtbar.
Sukzessive stutzt der Film den bereits zu Anfang prekären Alltag der Familie auf eine eingepferchte Lebensrealität zurück. Die Ausgangssperre bestimmt den Tagesrhythmus, verminte Landstriche machen es den Kindern unmöglich, frei zu spielen, und mit der Verhaftung Nurullahs ist schließlich die gesamte Familie an das Haus gebunden. Weder die Mutter Fattema noch die große Schwester Soraya, weder Parvana noch ihr kleiner Bruder dürfen das Haus ohne Begleitung eines Mannes verlassen.
Die Flucht aus der erdrückenden Realität, die der Film vollzieht, wird auf zwei Ebenen erzählt. Zunächst nimmt Parvana eine neue Identität an. Sie schneidet ihre Haare ab und sucht, als Junge getarnt, auf dem Markt von Kabul nach Arbeit. Ein als „bacha posh“ bekanntes Phänomen, das in Afghanistan und Pakistan weit verbreitet ist. Mit der neuen Identität wird Kabul für Parvana wieder begehbar. Ihr erster Einkauf auf dem Markt lässt kindliche Freude aufblühen, ohne dass die Inszenierung die Zügel schießen lassen würde. Die Beleidigungen der Händler prallen an der überglücklichen Parvana zwar ab, die als Junge hier nicht mehr um ihr Leben fürchten muss, doch verweist dieser Glücksmoment umso stärker auf die für Frauen und Mädchen unerträgliche Realität. So knüpft der Film unmittelbar an eine afghanische Gegenwart an, die auch die im Film beschworene Kraft der Fantasie nicht einfach ins Wanken bringt.
Denn auch die Welt der Geschichten kreiert keine alles überstrahlende Kraft. Wohl zeichnet der Film sie als einen Erfahrungshorizont, der über den archaischen, ganz auf das Überleben ausgerichteten Alltag hinausweist. Doch „Der Brotverdiener“ nutzt die Möglichkeiten des Animationsfilms nicht, um dies oft mit der Sentimentalität der Erzählerin ausstaffierte Idyll an Stelle der Wirklichkeit zu setzen. Vielmehr dienen die wenigen Farbkleckse, die vereinzelt aus den Erdtönen des karg animierten Kabul hervorstechen, die Scherenschnitt-Animationen von Parvanas Geschichten aber ganz ausfüllen, nicht nur als Hoffnungsschimmer. Es leuchten eben nicht nur Parvanas Kleid, die Postkarte mit einem Strandpanorama und die Blumen auf dem Markt. Auch die Burkas strahlen als Symbol der Unterdrückung ein glänzendes Blau ab und werden somit auch Teil der bunten Fantasie, mit der Parvana und ihre Familie sich ein geistiges Refugium schaffen.
„Der Brotverdiener“ ordnet das Imaginierte stets ins Prosaische ein, ohne dabei in den Ton der Resignation zu verfallen. Vielleicht braucht es gerade diese Unerreichbarkeit des Idylls, um von der Möglichkeit eines Lebens in einem kriegsversehrten Land zu erzählen, das am Horizont bereits die Ankunft der US-amerikanischen Kampfjets und damit den nächsten blutigen Zyklus vor Augen hat.
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