Am Beginn steht eine surreale Szene, in der den Brontë-Geschwistern Charlotte, Emily, Anne und ihrem Bruder Branwell als Kindern kleine Feuer über den Köpfen lodern, während sie gemeinsam ihre Fantasien ausspinnen. In der Abgeschiedenheit eines ärmlichen Pfarrhaushalts in dem kleinen Ort Haworth in Yorkshire brennt ein schöpferisches Licht, aus dem zunächst kindliche Erzählungen um die fiktiven Welten Gondal und Angria hervorgehen, später dann Gedichte und Romane, die bis heute Millionen von Lesern begeistern.
Die Brontë-Schwestern, die zunächst unter männlichen bzw. geschlechtsneutralen Pseudonymen veröffentlichten, wurden zu literarischen Ikonen. Ihr Bruder Branwell dagegen verlor seine Ambitionen als Maler und Schriftsteller aus den Augen und verfiel dem Alkohol- und Drogenmissbrauch. Sein bekanntestes Werk dürfte ein Bild sein, dass er 1834 von sich und seinen drei Schwestern anfertigte – und aus dem er sich später selbst auswischte.
Der deutsche Titel von Sally Wainwrights Porträt der Geschwister will offensichtlich Assoziationen zu einem der berühmtesten Brontë-Werke wecken, Emily Brontës „Sturmhöhe“. Davon sollte man sich aber nicht aufs Glatteis führen lassen: Der Film ist keines jener Schriftstellerporträts à la „Shakespeare in Love“
(fd 33 570) oder „Becoming Jane“
(fd 38 345), die so tun, als wäre ihr Gegenstand der Held/die Heldin in einem seiner/ihrer eigenen Werke. Im Original heißt der Film passender „To Walk Invisible“ und bezieht sich auf einen Brief Charlotte Brontës an ihren Verleger aus dem Jahr 1848, in dem sich die Autorin zu der Tatsache äußerte, dass sie, versteckt hinter dem Pseudonym Currer Bell, noch ein anonymes Leben führte, als der Ruhm der „Jane Eyre“ zu strahlen begann: „What author would be without the advantage of being able to walk invisible?“, welcher Autor würde auf den Vorteil verzichten, unsichtbar zu bleiben?
Wainwright sieht in der „Unsichtbarkeit“ freilich nicht unbedingt einen Vorteil, sondern vor allem die Reaktion der Brontës auf die Vorurteile ihrer Zeitgenossen gegenüber weiblichem Kunstschaffen. Für ihre Pseudonyme Currer, Ellis und Acton Bell entscheiden sich die Schwestern im Film vor allem deshalb, um nicht als Frauen erkennbar zu sein und sich so besser auf dem literarischen Markt behaupten zu können.
„Sturm der Gefühle“ geht es darum, den Werdegang der Schriftstellerinnen von den ersten ernstgemeinten literarischen Äußerungen bis zum Schritt aus der Unsichtbarkeit heraus zu verfolgen und die Bedingungen zu beleuchten, unter denen diese Karrieren stattfanden: die Lebensumstände und familiären Beziehungen im Haushalt der Schwestern, ihres Vater und ihres zunehmend in die Sucht abgleitenden Bruders.
Jene Elemente aus dem Leben der Brontë-Frauen, die Eingang in ihre Werke gefunden haben (etwa Charlottes und Annes Erfahrungen als Lehrerin und Gouvernante) oder Liebesgeschichten klammert Wainwright weitgehend aus. Die Inszenierung kontrastiert immer wieder die Bescheidenheit und Enge der häuslichen Verhältnisse, in denen die Mädchen ohne gesellschaftliche Kontakte ihren Haushaltspflichten nachgehen oder eben schreiben, mit Szenen, die das Trio bei Spaziergängen durch die weite, karg-schöne Heidelandschaft zeigen.
Wichtige Dialoge, in denen sich die Schwestern über ihre literarischen Arbeiten austauschen, siedelt Wainwright mit Vorliebe in dieser beeindruckenden Naturkulisse an, die auch in den Werken der Brontës immer wieder eine Rolle spielt. Das ist allerdings auch schon das Höchstmaß an Romantisierung des Kunstschaffens, das sich die Regisseurin erlaubt. Tatsächlich schildert der Film die schriftstellerische Tätigkeit der Frauen ziemlich nüchtern als Broterwerb: Da der einzige männliche Sprössling sich als unfähig erweist, das Amt des Familienernährers zu übernehmen, sehen sich die Schwestern genötigt, eigene Verdienstmöglichkeiten zu suchen.
Die Brontës waren neben Jane Austen im angelsächsischen Raum wichtige Wegbereiterinnen, um dem literarischen Schaffen von Frauen mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verschaffen; sie setzten sich in ihren Werken aber auch ungeschönt mit der gesellschaftlichen Situation von Frauen auseinander – eindrucksvoll etwa in Anne Brontës wichtigstem Werk „Die Herrin von Wildfeld Hall“.
Dass der Film nicht nur auf die Schwestern, sondern auch auf die Figur des Bruders einiges Gewicht legt, fügt dem eine interessante Perspektive hinzu. „Sturm der Gefühle“ legt nahe, dass das viktorianische Geschlechterbild auch für Männer repressiv war, sie mit Pflichten und Verantwortungen überlastete, für die sie nicht geschaffen waren. Erlebt man zu Beginn die kindlichen Geschwister noch als eingeschworenes Quartett, fühlt sich Branwell als Erwachsener in der Familie isoliert und hält dem Erwartungsdruck des Vaters (und auch dem der Schwestern), Karriere zu machen und für die Familie zu sorgen, nicht stand. Ob es unter anderen Voraussetzungen neben den Werken der Brontë-Schwestern auch Werke des Brontë-Bruders gegeben hätte?