„The Rider“ ist ein Film, durch den von fern der Atem John Hustons und John Fords weht, gesehen aber durch die Brille einer jungen, in China geborenen Regisseurin, Chloé Zhao, die den größten Teil ihres Lebens in Amerika verbracht hat. Sie scheint ebenso mit den frühen Filmen von Terrence Malick vertraut zu sein, aber auch mit den Realitäten des Lebens in heutigen Indianerreservaten.
Schon ihr erster Film, „Songs My Brothers Taught Me“ (2015), der nie einen Weg nach Deutschland gefunden hat, schien sie für Größeres zu prädestinieren. Doch statt sich von Hollywood verführen zu lassen oder den Versuchungen eklektischer Independent-Filme zu folgen, erzählt Zhao mit dokumentarischem Blick eine Geschichte, die ebenso repräsentativ ist für das Leben in den weiten, von ständigem Wind durchwehten Ebenen South Dakotas wie für die hier nie direkt angesprochenen Schicksale zahlloser aus der Bahn geworfener Kriegsopfer, die nach einer neuen Zukunft suchen müssen.
„The Rider“ ist fest verwurzelt in den Menschen, Traditionen und Lebensgewohnheiten der indianischen Familien, unter denen die Handlung spielt. Brady Blackburn, ein junger Pferdetrainer und Rodeo-Reiter, wird nicht von einem Schauspieler, sondern von Brady Jandreau dargestellt, der sein eigenes Schicksal vor der Kamera nachspielt. Seine Familie und seine Freunde werden als Familie und Freunde seiner täglichen Umgebung in die Geschichte des Films hineingeholt: Die Menschen sind ebenso real wie die ungezähmten Pferde und die Broncos in der Arena.
Jandreaus Story, der bei einem wilden Ritt aus dem Sattel geworfen wurde und nun eine Stahlplatte im Kopf trägt, hat sich so zugetragen, wie man sie auf der Leinwand zu sehen bekommt. Ergänzt ist nur die Perspektive, aus der Zhaos genaue und teilnahmsvolle Augen sie sehen. Die Regisseurin und ihr begabter Kameramann Joshua James Richards aber haben sich nicht dazu bereitgefunden, Jandreaus Geschichte mit ausschmückenden Details zu garnieren, die Spannungsbögen schaffen und kalkulierte Höhepunkte setzen.
Wie er mit den zerstörten Hoffnungen und dem Gebot, nie wieder zu reiten, sowie mit den entleerten Stunden seines Alltags umgeht, entwickelt sich wie alles andere aus einer dokumentarischen Beschreibung der Monate und Jahre nach dem Unfall. Was mit ihm, seinem Vater, seiner geistig behinderten Schwester und seinem in der Reha-Klinik liegenden Freund passiert, geschieht alles mit der logischen Zufälligkeit des Lebens in den armseligen Siedlungen der weiten Prärien von South Dakota.
Eine der faszinierendsten Szenen des Films ist dafür beispielhaft, eine Szene, die ursprünglich gar nicht geplant war, aber zu einem der zentralen Punkte des Films wurde. Während der Filmarbeiten auf einer Ranch bot Jandreau an, eines der wilden Pferde zu zähmen. Die Arbeit des Cowboys, die in Western oft als eine Abfolge von Artistik und grober Gewalt dargestellt wird, nimmt unter seinen gleitenden Händen, seiner sanften Fürsprache und seinen geschickten Manövern, um zwischen ihm und dem Pferd Vertrauen aufzubauen, eine ganz andere Perspektive an. Zhao ließ die Kamera fast anderthalb Stunden laufen, von denen nur ein paar Minuten im fertigen Film geblieben sind. Aber wie so oft in „The Rider“ lassen diese paar Minuten erahnen, was in den Menschen und ihrer Umwelt vorgeht, wie sich das Leben, positiv oder negativ, von einem Augenblick auf den anderen verändern kann.
Die Lebensbedingungen in den Reservaten sind hart, und der Staat tut wenig, um sie erträglicher zu machen. Der Film spart auch das nicht aus, doch es bestimmt nicht den Stil der Inszenierung. Bei aller Realistik, die Zhao nicht scheut, liegt ein Hauch von Melancholie über der Geschichte, die sich mehr als einmal zu Poesie verdichtet, zu flüchtigen Momenten wie in jener Szene, in der Brady und seine Schwester in die untergehende Sonne schauen und die Schwester ganz nebenbei sagt: „Gute Nacht, Sonne. Bis morgen früh.“