Taste of Cement - Der Geschmack von Zement
Dokumentarfilm | Deutschland/Libanon/Syrien/Katar/Vereinigte Arabische Emirate 2017 | 89 Minuten
Regie: Ziad Kalthoum
Filmdaten
- Originaltitel
- TASTE OF CEMENT
- Produktionsland
- Deutschland/Libanon/Syrien/Katar/Vereinigte Arabische Emirate
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Basis Berlin Filmprod./Bidayyat for Audiovisual Arts/En Jazz
- Regie
- Ziad Kalthoum
- Buch
- Ziad Kalthoum · Talal Khoury · Ansgar Frerich
- Kamera
- Talal Khoury
- Musik
- Sebastian Tesch
- Schnitt
- Alex Bakri · Frank Brummundt
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 24.05.2018
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm | Filmessay
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Assoziativ komponierter, bildstarker Essayfilm über syrische Bauarbeiter, die sich an ihre im Krieg zurückgelassenen Familien erinnern.
Abends, nach neunzehn Uhr, herrscht für die syrischen Bauarbeiter im libanesischen Beirut Ausgangssperre. Jede Zuwiderhandlung wird streng bestraft. Und so eilen sie denn in langen Schlangen von ihren Baustellen in den Untergrund. In die feuchten, unwirtlichen Kellerräume jener Wolkenkratzer, die sie gerade errichten. Für Regisseur Ziad Kalthoum sind das auch Höhlen der Erinnerung. Nachts, wenn die Männer nicht schlafen können, kommen die Gedanken an ihre Heimat, an die Familien, die sie in Syrien zurücklassen mussten, die Kinder, den Krieg. Auf den Displays ihrer Mobiltelefone Bilder der Zerstörung: die nicht enden wollenden Bombenangriffe, die Schreckensszenen von Folterungen des Islamischen Staates. Die Männer, nur wenige Kilometer von ihrer Heimat entfernt, sind den Nachrichten von zuhause hilflos ausgeliefert.
Ziad Kalthoum wurde vom Arbeitgeber der syrischen Männer nicht gestattet, Interviews zu drehen. Daraus erwuchs die Idee, ihre Erfahrungen und Erinnerungen zu einem vielstimmigen Monolog zu verdichten, der die Bilder begleitet, aber gleichzeitig auch eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit beansprucht. So entstand eine poetische Sprachmelodie, die aus Wortfetzen und Atemgeräuschen, aus Gedichten und Erzählungen über Einsamkeit und seelische Not, aber auch Sehnsucht und Hoffnung gespeist ist. Überhaupt hat der Film nichts von einer naturalistischen Dokumentation, er ist assoziativ komponiert, sinfonische Dichtung statt Report. Während in der libanesischen Hauptstadt, nach dem Ende der Schrecken, die auch dort gewütet hatten, die letzten Narben des Krieges getilgt werden und Parks und Wohnhäuser neu erstehen, wird gleich nebenan ein ganzes Land ins Mittelalter zurückbombardiert. Der blaue Himmel und die Sonne, die die syrischen Arbeiter tagtäglich über sich erleben, ist trügerisch: In der Nacht lauert die Verzweiflung. Besonders in der Szene, in der sich die Kriegsbilder von den Handys in den in extremer Großaufnahme gefilmten Augen der Männer spiegeln, wird dies auch optisch transparent.
In einer anderen Sequenz montiert Kalthoum Aufnahmen von der Baustelle, zum Beispiel die Arbeit mit Bohrern oder Schleifmaschinen, die sich in den Beton fressen, gegen Bilder von Granatenangriffen. Es ist eine Sinfonie des Wahnsinns: Aufbau und Zerstörung als Parallelmontage. Der Baukran in Beirut als Gegenstück zum Panzer in Syrien, der sich durch ein Stadtviertel schiebt und alles in Schutt und Asche legt. In einer langen Sequenz, die vermutlich mit einem Mobiltelefon gefilmt wurde, graben Menschen in den Trümmern nach Überlebenden. Der Geschmack von Zement als Beigeschmack des Todes. Das Haus als Todesfalle. Errichtung und Vernichtung: ein furchtbarer Kreislauf, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint.
Der Irrsinn des Krieges, der sich auch über den Frieden legt, drückt sich noch einmal in den Schlussbildern des Films aus. Ziad Kalthoum hat seine Kamera dafür auf einen Zementmischer montiert. Und während ein Lastwagen mit dem sich drehenden Mischer von der Baustelle aus der Stadt fährt, dreht sich auch die Kamera und lässt Häuser und Straßen rotieren. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht, es gibt keine Gewissheiten mehr. Filmbilder, die dem Zuschauer physisch erfahrbar machen, was es bedeutet, keinen Boden unter den Füßen zu haben. Ein Essayfilm als großes, bildstarkes Gleichnis, als zeithistorische Parabel.