„Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“, prophezeite vor Jahren der slowenische Philosoph Slavoj Zizek. Vielleicht aber fallen diese beiden Ereignisse irgendwann ja zusammen? Verbunden sind die Visionen von Apokalypse wie unendlichem Wachstum durch den Glauben; final in Gestalt einer Art Jüngsten Gerichts. Doch was stand eigentlich am Anfang? „Akkumuliert, akkumuliert! Das sind Moses und die Propheten“, notierte Karl Marx dazu schon im ersten Band von „Das Kapital“.
Marx hatte überhaupt einiges zu sagen. Zu dem Dokumentarfilmer Florian Opitz spricht er auch heute noch: Opitz’ „System Error“, dem Bedürfnis nach schrankenloser Ausbreitung, spürte der Mitbegründer der Ersten Internationalen schon Mitte des 19. Jahrhunderts nach. Opitz, der sich in „Der große Ausverkauf“
(fd 38 174) und „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
(fd 41 285) mit den Kollateralschäden eines wachstumsgetriebenen Wirtschaftens beschäftigt hat, nimmt sich in „System Error“ nun den Kapitalismus als Ganzes vor.
Flankiert von im Tickerstil eingestreuten Marx-Zitaten reist er in so genannte Wachstumsregionen auf der ganzen Welt. In der brasilianischen Provinz Mato Grosso preisen Rinderzüchter und Sojabarone beispielsweise den riesigen, noch unerschlossenen Raum an. Störend seien nur die Umweltauflagen, die zum Erhalt des Regenwaldes verpflichteten. In den 1970er-Jahren war die Provinz noch ein einziger Urwald. Heute erinnern Bilder riesiger Herden weißer Rinder auf braunem Ackergrund oder die Aufnahmen der mehrere Zehntausend Tiere fassenden Hühnerhallen mehr an Dystopien als an blühende Landschaften.
Neben den Berufsoptimisten aus Brasilien oder vom Bund der Deutschen Industrie, dessen Chef Markus Kerber mit Verweis auf die angebliche Natur des Menschen Politiker wie die Bundeskanzlerin immer wieder auf das Wachstumsmantra einschwört, kommen auch nachdenkliche Stimmen zu Wort, etwa der britische Ökonom Tim Jackson.
Für Deutschland weist Opitz nach, dass die Orientierung am Bruttoinlandsprodukt als alleinige Kennziffer in der Nachkriegszeit durch die USA verordnet wurde, immer pünktlich berechnet vom Statistischen Bundesamt. Der bereits 1972 veröffentlichte Report des „Club of Rome“, der auf die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen aufmerksam machte, fand zwar reißenden Absatz, hat in der Politik aber nichts verändert. Stattdessen schreitet die „Umnutzung“ der letzten weißen Flecken auf der Landkarte immer weiter fort. Heute würden nur eine Milliarde Menschen regelmäßig fliegen, so ein Airbus-Manager. Angesichts der Weltbevölkerung läge hier ein unerschlossenes Potenzial in Höhe von sechs Milliarden brach – und überdies wachse die Weltbevölkerung ja noch.
Regisseur Opitz zitiert Marx weidlich, nutzt ihn aber nur als Diagnostiker, nicht als Therapeuten. Denn vor die „Kunst, den Boden zu berauben“, hat der Fortschritt die Kunst gestellt, das gleiche dem Arbeiter anzutun. Das revolutionäre Subjekt in Gestalt des Proletariers scheint im Zug von Vereinzelung und Automatisierung bislang aber noch keinen modernen Wiedergänger gefunden zu haben. Was also kommt zuerst, die Revolution oder der Weltuntergang? Darauf weiß auch Opitz keine Antwort. Ein essayistischer Dokumentarfilm ist schließlich kein Medium für die Weltformel – sondern im gelungenen Fall wie bei „System Error“ eher eine reflektierte Umkreisung der Wachstumsdebatte.
Dem Kapital ist es in seiner immer noch jungen Geschichte bislang stets gelungen, neue Spielwiesen zu erschließen. Die Deregulierung der Finanzmärkte, deren Wortführer in London und New York ausgiebig zu Wort kommen, brachte immer undurchsichtigere Finanzprodukten hervor, genährt vom Traum Millionen US-Amerikaner nach einem Eigenheim. Mit den bekannten Folgen einer gigantischen Finanzblase, deren Platzen Obdachlosigkeit und eine heftige Schuldenkrise nach sich zog, was den Wachstumsoptimisten allerdings als heilsame Selbstreinigung der Märkte gilt.
Auch der britische Ökonom Tim Jackson weiß schlussendlich keinen Rat. Er flüchtet sich in ein Bonmot von Antonio Gramsci: „Pessimismus ist eine Haltung des Verstandes, Optimismus eine des Willens.“ Was im zeitgenössischen Bild von der Apokalypse aber immer vergessen wird, ist die christliche Hoffnung, dass am Ende aller Tage der Messias wiederkommen soll.