Dass Erwachsene in Filmen noch einmal die Schulbank drücken, kennt man als Stoff für Komödien à la „Die Feuerzangenbowle“ (fd 5172). Für die indische Regisseurin Ashwiny Iyer Tiwari ist Bildung hingegen ein ernstes, existenzielles Thema, vor allem wenn es um die Bildung von Mädchen in ihrer Heimat geht. Deshalb ist auch das Motiv, das die erwachsene Protagonistin Chanda in „Lebe Deine Träume“ wieder zurück in die Schule bringt, nicht lustig: Chanda fürchtet um die Zukunft ihrer 14-jährigen Tochter Appu und will dem Mädchen unbedingt zu einem guten Schulabschluss verhelfen. Chanda ist alleinstehend und arbeitet als Hausmädchen. Entsprechend schwer fällt es ihr schwer, die Mittel aufzubringen, um Appu überhaupt auf eine Schule zu schicken.
Umso mehr schmerzt es sie, dass Appu das anscheinend überhaupt nicht zu schätzen weiß. Das junge Mädchen hängt lieber mit ihren Freunden ab, anstatt sich mit Mathe & Co. herumzuschlagen; als Tochter einer Dienstmagd rechnet sie sich keine allzu großen Zukunftschancen aus und fühlt sich nicht besonders motiviert, viel Energie in die Schularbeit zu investieren. Als sich abzeichnet, dass Appu trotz Chandas ständiger Ermahnungen den Abschluss zu verfehlen droht, sieht Chanda keinen anderen Weg, um ihre störrische Tochter zu motivieren, als buchstäblich mit gutem Beispiel voranzugehen: Sie meldet sich selbst als neue Schülerin in Appus Klasse an, um an der Seite der Tochter zu büffeln. Die findet es aber nur hochnotpeinlich, dass die Mutter in „ihr“ Revier eindringt.
Dank der guten Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen nimmt einen das Mutter-Tochter-Drama sofort gefangen. Die komplexe Beziehungsdynamik zwischen Chanda und Appu trägt den Film mühelos: beide haben ein äußerst enges Verhältnis, reiben sich aber auch kräftig und schmerzhaft aneinander . Als Zuschauer kann man sowohl Chanda verstehen und bewundern, die aus Liebe für ihre Tochter buchstäblich alles tun würde und weitsichtig genug ist, um den Wert einer fundierten Bildung zu erkennen; andererseits kann man aber auch mit der heftig pubertierenden Appu mitfühlen, auf deren schmalen Schultern die Aufgabe lastet, alle Hoffnungen auf ein besseres Leben Wirklichkeit werden zu lassen, die ihrer Mutter als Hausmädchen ohne Schulabschluss verwehrt geblieben sind.
Während man aus westlicher Perspektive geneigt ist, der Verweigerungshaltung des Mädchens durchaus Sympathien entgegenzubringen und den Leistungsdruck auch kritisch zu sehen, versteht sich der Film vor allem als leidenschaftliches Plädoyer dafür, dass es für indische Frauen oberste Priorität haben muss, ihre Töchter anzuspornen, über ihre Verhältnisse hinaus träumen und keine Mühen scheuen, um einen Beruf zu ergreifen und finanziell selbstständig sein zu können. Eine soziale Agenda, die man der Inszenierung hoch anrechnen muss, auch wenn die Ausführung mitunter etwas arg blauäugig gerät.
In ihrem Bestreben, Frauen für die Bildung einzunehmen und anzuspornen, neigt die Regisseurin dazu, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schönzufärben. In „Lebe Deine Träume“ sieht es so aus, als wäre es tatsächlich nur eine Frage des persönlichen Engagements von Mutter und Tochter, ob der Aufstieg durch Bildung gelingt oder nicht; freundliche Arbeitgeberinnen, die ihrem Hausmädchen unter die Arme greifen, nette Schuldirektoren etc. findet sich bei entsprechender Leistungsbereitschaft wie von selbst. Was der Realität in Indien sicher nicht gerecht wird. Aber zumindest ein Traum ist, um den zu kämpfen lohnt.