In Ingmar Bergmans „Persona“
(fd 14 908) betrachtet Liv Ullmann schockiert die Bilder einer Reportage über den Vietnamkrieg, in der sich ein buddhistischer Mönch auf offener Straße in Saigon selbst anzündet. Lange verweilt die Kamera auf dem Fernsehbildschirm mit dem brennenden Körper, bis dessen Gliedmaßen schließlich zu Boden sinken. Dazwischen sieht man immer wieder das fassungslose, zutiefst erschütterte Gesicht der Betrachterin.
Auch den aus Dortmund stammenden Regisseur Marvin Litwak hat ein ähnliches Bild nicht mehr losgelassen. Nachdem er im März 2012 in einem Artikel das Foto des Tibeters Jamphel Yeshi gesehen hatte, der sich ebenfalls selbst verbrannte, reiste er nach Indien und begann mit eigenen Recherchen. Der daraus entstandene Film fragt nach der Vorgeschichte dieser extremen Handlung, die als Zeichen des gewaltlosen Protests den eigenen Körper zum Schauplatz des Schmerzes und der Selbstaufgabe macht.
Aus der politisch aktuellen wie ethisch komplexen Ausgangslage entwickelt Litwak mit „Pawo“ einen Spielfilm, dessen Titel Programm ist, denn er bedeutet auf Tibetanisch „Held“. Gemeinsam mit einem nur aus Laien bestehenden Team und seinem späteren Co-Regisseur Sonam Tseten inszeniert Litwak eine Geschichte, die auf der Biografie von Jamphel Yeshi basiert, sich aber auch Raum für Fiktionalisierungen nimmt.
In der Figur des jungen Dorjee, dessen Name („unzerstörbar“) ebenfalls stark aufgeladen ist, skizziert Litwak den Weg einer politischen Radikalisierung und entwirft das Porträt einer Kindheit unter chinesischer Besatzung. Die Stärke dieses humanistischen Plädoyers, das Gewalt und Unterdrückung im Alltag der Kinder zeigt, liegt im ausdrucksvollen Spiel der Laiendarsteller. In der Schule wird die chinesische Sprache und Kultur mit Stockhieben eingebläut; alles Tibetanische spielt nur eine marginale Rolle; das Bekenntnis zum Dalai Lama reicht für eine Inhaftierung.
Als Dorjees Vater stirbt, reißt dies eine Lücke in die Familien und zwingt den Jungen in eine viel zu frühe Verantwortung, da auch die Mutter psychisch erkrankt. Das hätte zum Ausgangspunkt eines vielschichtigen Psychogramms werden können, doch der Film setzt an diese Stelle die vom Vater an den Sohn weitergegebene religiöse Erfahrung. Sie wird zu einer Begleiterzählung, die zwar interessante Details aus dem buddhistischen Glauben an die Wiedergeburt offenbart, den Figuren aber Zwischentöne raubt.
Die Inszenierung bemüht geradezu krampfhaft klassische filmische Plots und setzt auf eine emotionalisierende Musik, um die Zuspitzung einzelner Szenen zu unterstreichen. Diese Fokussierung auf den Protagonisten als leidende Heldenfigur will den komplexen gesellschaftspolitischen Kontext über eine formelhafte Empathie zugänglich machen. Was sich als eher kontraproduktiv erweist. Denn gerade Dorjees schwer fassbare Erfahrungen wären von Interesse gewesen, die inneren Bilder, die gleichzeitig an kollektive Erfahrungsmomente anschließen, die Zerstörung der Subjektivität durch die politische Folter, die ihren Teil dazu beigetragen hat, dass Jamphel Yeshi im Exil nicht genügend soziale Beziehungen aufbauen konnte, die seine suizidalen Tendenzen hätten auffangen können. Auch hätte die merkwürdige Ikonizität eines solchen Selbstmordes weiter bedacht werden müssen, der trotz seiner verstörenden Transgressivität zum Symbol des politischen Widerstands wurde.
Die Bemühungen der rund 200 Tibeter, unter ihnen viele Mönche, die an den Dreharbeiten des via Crowdfunding finanzierten Dramas mitgewirkt haben, sind beachtlich und verdienen die Aufmerksamkeit einer politisch sensibilisierten Öffentlichkeit. Es wäre für ihr Anliegen allerdings förderlicher gewesen, wenn die Filmemacher mehr Vertrauen in die Affizierbarkeit der Zuschauer gesetzt hätten, die kein aufdringliches Pathos brauchen, um vom Kampf der Tibeter um ihre Kultur tief berührt zu sein.