Der US-Dokumentarfilmer Eugene Jarecki fährt in dem altem Rolls Royce von Elvis Presley die Lebensstationen des „King of Rock'n'Roll“ ab und versammelt mit zahlreichen Interviews eine Art Bestandsaufnahme der gegenwärtigen US-Gesellschaft. Sinnbildlich verknüpft das essayistische Road Movie den Aufstieg und Fall der Rocklegende mit historischen und aktuellen Entwicklungen in den USA. Dank eindrucksvoller Archivbilder und O-Töne, lyrischer Landschaftsaufnahmen und ergreifender musikalischer Darbietungen reicht der Film weit über reines Agitationskino hinaus.
- Ab 14.
The King - Mit Elvis durch Amerika
Dokumentarfilm | USA/Deutschland/Frankreich 2017 | 109 Minuten
Regie: Eugene Jarecki
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Filmdaten
- Originaltitel
- PROMISED LAND
- Produktionsland
- USA/Deutschland/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Ghost in the Machine Films/Charlotte Street Films
- Regie
- Eugene Jarecki
- Buch
- Eugene Jarecki · Christopher St. John
- Kamera
- Etienne Sauret · Tom Bergmann
- Musik
- Robert Miller · Antony Genn · Martin Slattery
- Schnitt
- Simon Barker · Èlia Gasull Balada · Alex Bingham · Laura Israel
- Länge
- 109 Minuten
- Kinostart
- 19.04.2018
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Eine Reise des US-Dokumentarfilmer Eugene Jarecki im Rolls Royce von Elvis Presley auf den Spuren des „King of Rock’n’Roll“ wird zur Bestandsaufnahme der USA.
Diskussion
Wenn der US-Dokumentarfilmer Eugene Jarecki im alten Rolls-Royce von Elvis Presley durch die USA rollt und die Lebensstationen des „Kings“ von der Kindheit in Tupelo über Memphis, New York, Hollywood und Las Vegas abklappert, ist die Metaphorik so offensichtlich, dass der Filmemacher sie erst gar nicht zu verstecken versucht. „Wenn Elvis deine Metapher für Amerika ist“, bemerkt ein junger Mann, den der Regisseur unterwegs in einer Bar trifft, „dann ist es Elvis kurz vor der Überdosis.“
Die Dreharbeiten des Films fallen in die Zeit des US-Wahlkampfes 2016. Alec Baldwin verkündet auf dem Rücksitz der Luxuslimousine noch im Brustton vollster Überzeugung, dass Trump nie Präsident werde. Doch die von Jarecki postulierte Las-Vegasierung des US-amerikanischen Traumes überholte den Film. Nach der Wahl von Trump schnitt Jarecki das Filmmaterial grundlegend um. Unterstützt wurde er dabei vom ausführenden Produzenten Steven Soderbergh.
Die Spurensuche beginnt in Tupelo, Mississippi. Dort macht Jarecki die heutige Besitzerin des Hauses ausfindig, in dem Elvis als Kind lebte, während sein Vater im Gefängnis saß. Sie erzählt von der „Unterschicht“, zu der auch der „King“ gehörte; hier in Tupelo kümmere sich bis heute niemand um diese Menschen. Sie selbst ist weiß, aber ihre schwarze Nachbarin stimmt schimpfend zu: „Der amerikanische Traum? Der amerikanische Traum geht den Bach runter!“
Nächster Halt ist Memphis. 29 Prozent der Bevölkerung leben hier unter der Armutsgrenze. So geht es in einem fort. Road-Crew-Chief Wayne Gerster hält nichts davon, den Aufstieg und Fall des „King of Rock’n’Roll“ mit dem Aufstieg und Fall einer Nation zu vergleichen. Für ihn befindet sich das Land nicht im Niedergang. Es stagniere lediglich. Aber als der Regisseur ihn fragt, ob Amerika schon einmal bessere Tage erlebt habe, bejaht er das entschieden: „Hey Eugene, ich bin mit der größten Lüge aller Zeiten aufgewachsen: Wer hart arbeitet, kommt voran. Das war eine Lüge. Wir wurden alle belogen.“
Für den afroamerikanischen Fernsehkommentator und Bürgerrechtler Van Jones verkörpert Elvis das weiße Amerika, die imperialistische Großmacht. Auch den alten Vorwurf, dass Elvis den Schwarzen ihre Musik geklaut hätte, hält der ehemalige Obama-Berater am Leben. „Public Enemy“-Frontmann Chuck D, der in „Fight the Power“ (1975) einst rappte, „Elvis was a hero to most but he never meant shit to me“, sieht das ganz anders. Kultur sei für alle da, argumentiert er. So wie die klassische Musik auch den Schwarzen gehöre, gehöre der Blues auch den Weißen. Dafür sieht Chuck D nicht ein, dass Elvis ein „König“ gewesen sein soll und Chuck Berry nicht. Elvis bedeute ihm auch deshalb nichts, weil er sich nie öffentlich für die Angelegenheit der Schwarzen eingesetzt habe, nie gemeinsam mit Martin Luther King Jr. auf die Straße gegangen sei.
Jarecki lässt das stehen, so wie er auch die mitunter widersprüchlichen Aussagen seiner überwiegend prominenten Gesprächspartner wie Emmylou Harris, Ashton Kutcher, Ethan Hawke oder Mike Myers unkommentiert lässt. Dadurch erhält die zunächst banal anmutende Metaphorik, die ihren kitschig-ironischen Höhepunkt darin findet, dass der Rolls Royce mit einem Motorschaden abgeschleppt wird, schillernde Facetten, die ihr und mit ihr dem essayistischen Film einen poetischen Tiefgang verleihen. Jarecki verknüpft das Kaleidoskop aus Worten und Widerworten mit prächtigen Road-Movie-Landschaftsbildern, glitzernden und schäbigen urbanen Impressionen sowie sorgsam ausgewähltem Archivmaterial von Presleys Fernseh- oder Bühnenauftritten. Dazu kommen Ausschnitte aus Elvis’ Filmen und Medienberichte, die deutlich machen, dass Elvis anfangs keineswegs eine Ikone des weißen Amerikas war; für seine „Negermusik“ und die zügellosen Auftritte wurde er vielmehr massiv angefeindet.
Durch diese perspektivische Vielfalt entzieht sich die Metaphorik einem oberflächlichen Zugriff. Zugleich darf Elvis Presley hier mehr sein als das bloß passende Klischee für ein gesellschaftliches Sittengemälde, mehr als ein namhafter Reiseführer durch die US-amerikanische Kulturgeschichte. Nämlich er selbst. „The King“ erzählt noch einmal seine Geschichte. Die Geschichte des Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der nur mit Mühe einen Schulabschluss schafft, der den Blues liebt, quasi über Nacht zum Weltstar aufsteigt und von seinem eigenen Ruhm fortgespült wird. „Vielleicht war er der King“, resümiert Sängerin Emmylou Harris voller Mitgefühl, „aber er war auch verdammt.“
Archivbilder zeigen ihn 1968 im schwarzen Lederanzug bei seinem Comeback. Eine Nacht lang war er noch einmal der Elvis von früher, aus der Zeit von Sun Records. Er spielt nur die alten Lieder. Wie Kapitän Ahab stemmt er sich gegen sein Schicksal, seine vollständige Kommerzialisierung; er streckte den Mikroständer in die Luft, als wäre es eine Harpune, und brüllte „Moby Dick“! Er träumte von einer Welttournee und landete in Las Vegas.
Fast zehn Jahre später, im Juni 1977, gab er sein letztes Konzert. Auch die CBS- Bilder sind hier zu sehen: Elvis, tablettensüchtig, aufgeschwemmt, verschwitzt, lallend, torkelt im jetzt weißen Lederanzug ans Klavier und spielt und singt „Unchained Melody“ so schön und kraftvoll, als wäre es der Auftritt seines Lebens.
Die Musik, die Elvis liebte, lebt weiter. Das ist eine der Botschaften dieses Films. Die Inszenierung reicht dieses kulturelle Erbe weiter, indem sie auf dem Rücksitz von Elvis’ Rolls Royce die unterschiedlichsten Musiker grandiose Coverversionen von Elvis-Songs anstimmen lässt. Lieder, die unter die Haut gehen und einen Film, der ursprünglich eine politische Allegorie sein wollte, in ein oszillierendes Gesamtkunstwerk verwandeln, das Biografie und Sozialstudie, nationales Psychogramm, kulturgeschichtliches Zeugnis und Pamphlet, Road Movie und Musikfilm in einem ist und noch viel mehr das.
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