Wie ein Schatten streift der einst so stolze Dichter durch Paris. Als ihm in den verrufensten Ecken der Stadt zufällig eine Frau aus der guten Londoner Gesellschaft begegnet, die früher keine seiner Theaterpremieren ausließ, bettelt Oscar Wilde sie um Geld an, denn seine eigenen Mittel gehen zur Neige. Krank und weitgehend verarmt, gleicht sein Leben einer grotesken Version seiner Erfolgsjahre: In einer Kaschemme erniedrigt er sich vor betrunkenen Spöttern mit einem Liedvortrag, seine Märchen bekommt nur noch ein Brüderpaar von Gassenjungen zu hören, im Anschluss an ein intimes Beisammensein des Älteren mit Wilde in dessen Zimmer. Seine schriftstellerische Inspiration ist jedoch versiegt, ein letzter bitterer literarischer Witz ist sein Deckname in diesen Tagen: Melmoth, nach der Hauptfigur des Schauerromans „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin, die ihre Seele dem Teufel verpfändet hat und verzweifelt einen Nachfolger für ihren Part in dem infernalischen Pakt sucht.
Die letzten Lebensjahre von Oscar Wilde werden oft als Abschnitt gesehen, über den man aus Pietät besser den Mantel des Schweigens breiten sollte: Der in die Länge gezogene Tod eines Mannes, der durch seine Verurteilung wegen homosexueller „Unzucht“ seine gesellschaftliche Stellung, Ruhm und Reichtum, seine Familie und seine Gesundheit einbüßte und nach der zweijährigen Haftstrafe 1897 völlig gebrochen ins Exil ging, um dort drei Jahre später im Elend zu sterben. Dass über diese Phase nicht mehr viel zu sagen sei, galt auch den bisherigen Wilde-Filmbiografien als ausgemacht. In den jeweils 1960 uraufgeführten Filmen „Oscar Wilde“ (fd 9685) und „Der Mann mit der grünen Nelke“ (fd 10 983) sowie Brian Gilberts Biopic „Oscar Wilde“ (fd 32 799) von 1997 wurde das Ende von Wilde jeweils nur im Epilog rasch abgehandelt, zu wenig schien es ihnen wohl für einen „runden“ Abschluss herzugeben.
Wenn Rupert Everett nun gerade diesen Abschnitt in Wildes Leben zum Ausgangspunkt seines Regiedebüts „The Happy Prince“ genommen hat (und die Jahre des Erfolgs nur in Rückblenden anklingen lässt), greift er selbstbewusst einen vorherrschenden Wilde-Mythos an: Nicht die Gefängnishaft zwingt den von ihm selbst gespielten Autor hier zu Boden, sondern die Kaltherzigkeit derer, die ihn früher liebten und verehrten, ihm nun aber Hass und Verachtung entgegenbringen.
Denn nachdem Everett vom Pariser Auftakt seines Films in die Zeit nach der Haftentlassung zurückgesprungen ist, zeigt er einen lange durchaus optimistischen Oscar Wilde. Der nordfranzösische Küstenort Dieppe wird ein erstes Refugium, in dem er seine treuesten Freunde Reggie Turner und Robbie Ross wiedertrifft. Es gibt ein Bankett zu seinen Ehren, die Nachrichten von seiner Frau, die mit den zwei Söhnen nach der Trennung in Heidelberg lebt, sind auch positiver, als zu erwarten war: Unter der Bedingung, seinen Liebhaber Lord Alfred „Bosie“ Douglas nicht wiederzusehen, will sie ihren Mann finanziell unterstützen. Von einer Scheidung ist keine Rede, es scheint gar eine Versöhnung denkbar. Was auch im Sinne von Turner und Ross ist, die ihren Freund gern wieder glücklich sähen, damit er sich zum Schreiben animieren ließe.
Einen ersten Rückschlag gibt es, als einige junge Engländer Oscar Wilde erkennen, verfolgen und übel beschimpfen. Wilde muss Nordfrankreich verlassen; vorher kommt es jedoch zur Wiederbegegnung und Versöhnung mit Bosie, mit dem er am Ende gemeinsam nach Neapel fährt. Dort führen sie ein Leben des süßen Nichtstuns, bis Wildes Geld aufgebraucht ist und dieser zu seiner letzten Lebensstation Paris aufbricht. Im Kontrast mit dem von Colin Morgan verkörperten jugendlichen Liebhaber lässt Rupert Everett die Fassade seiner Figur effektvoll einstürzen. Obwohl Oscar Wilde noch immer den geistreichen Dandy zu spielen versucht, wirkt er nunmehr alt, müde und krank, was auf der visuellen Ebene durch eine Zwielichtstimmung in Gelb- und Beigetönen untermalt wird, die in den Paris-Szenen immer mehr an Leuchtkraft verlieren: Wildes Ende hat in „The Happy Prince“ etwas von der Erhabenheit eines Sonnenuntergangs.
Bei aller Mühe, die Everett als Regisseur und Darsteller auf eine eigenständige Interpretation seiner Figur angewandt hat, vermeidet er letztlich nicht immer das Klischee des leidenden Künstlers. Die Vielzahl der demütigenden Episoden und seine Verächter, die ihn ständig weiterjagen, auf der anderen Seite die fast magische Kraft, mit der selbst der herabgesunkene Oscar Wilde ein Publikum immer noch mit seinen Geschichten bannen kann, werden etwas überstrapaziert; zuletzt, wenn die Erzählung tatsächlich auf Wildes Tod zusteuert, übertreibt es Gabriel Yareds Musik auch mit der Sentimentalität. Dafür entschädigt Everett mit seinem kenntnisreichen Zugriff auf die Persönlichkeit des Dichters und einer sympathischen Reverenz an Reggie Turner und Robbie Ross: An die Freunde, die Wilde bis zu seinen letzten Momenten beistanden und als Gewährsmänner für sein Erbe sicherstellten, dass seine geistreichen Theaterstücke, Prosawerke und Dichtungen ein Weiterleben erfahren durften.