Im Oktober 1956 gehen die Menschen in Budapest auf die Barrikaden. Anfangs sind es Studenten, die demokratische Rechte und den Abzug der Russen fordern. Doch als Regierungstruppen auf die friedlichen Demonstranten schießen, weitet sich der Protest landesweit aus. Von diesen dramatischen Ereignissen in Ungarn erfahren Theo und Kurt aus der Wochenschau. Die beiden Abiturienten sind aus Stalinstadt, dem späteren Eisenhüttenstadt, nach Westberlin gefahren, um das Grab von Kurts Großvater zu besuchen und sich anschließend ins Kino zu schleichen.
Einen weit nachhaltigeren Eindruck als die blanke Haut von Liane, dem Mädchen aus dem Urwald, hinterlassen allerdings die aufwühlenden Nachrichtenbilder aus Budapest. Aufgeregt erzählen Kurt, Sohn des Stadtrats, und Theo, dessen Vater als Stahlkocher arbeitet, ihren Schulfreunden und Eltern davon. Sind die Demonstranten nun „Freiheitskämpfer“? Oder „Provokateure“ und „Konterrevolutionäre der Faschisten“? Die Meinungen gehen auch unter den Schülern auseinander.
Wenige Tage später meldet der „Feindsender“ RIAS Berlin, den sie heimlich belauschen, die blutige Niederschlagung der Aufstände. Schockiert überzeugt Kurt seine Klasse von der Idee, im Unterricht eine Schweigeminute einzulegen, „in Angedenken der gefallenen ungarischen Genossen“. Der Geschichtslehrer wütet, der Rektor beschwichtigt, doch für die Kreisschuldirektorin und den Volksbildungsminister ist die Solidaritätsbekundung der Jugendlichen keine Bagatelle, sondern ein direkter Angriff gegen den sozialistischen Staat.
Pädagogisch wertvoll
Mit „Das schweigende Klassenzimmer“ wendet sich Regisseur Lars Kraume nach seinem preisgekrönten Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) erneut der Nachkriegszeit zu. Diesmal nicht in der Bundesrepublik, sondern in der DDR. Was sich wie ein arg konstruierter Plot anhört, die eine Minute, die ein ganzes Leben verändert, basiert auf Begebenheiten, die der Schüler Dietrich Garstka 1956 im brandenburgischen Storkow erlebt und 50 Jahre später in einem Buch verarbeitet hat. Er und seine Mitschüler wurden damals nach einer Schweigeminute massiv unter Druck gesetzt, um die „Rädelsführer“ zu nennen. Andernfalls werde die gesamte Klasse vom Abitur ausgeschlossen. „Ich brauche einen Namen, nur einen“, sagt die Kreisschuldirektorin Kessler. Nur ein Name, eine Kleinigkeit. Die Jungen und Mädchen müssen sich entscheiden: Nachgeben, die eigene Zukunft sichern, aber auch Verrat üben? Oder zusammenhalten und die eigene Integrität bewahren, allerdings um einen hohen Preis?
Das Etikett „pädagogisch wertvoll“ haftet diesem Film unweigerlich an. „Das schweigende Klassenzimmer“ passt in jeden Politik-, Geschichts- oder Ethikunterricht. Dennoch wirkt er nicht bloß didaktisch, da die jungen Protagonisten als komplexe Charaktere angelegt sind, als Kinder von Eltern, die das Hitler-Regime und den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Es sind eher die erwachsenen Figuren, die etwas schablonenhaft verschiedene Positionen abdecken müssen. Aber selbst beim Volksbildungsminister Lange wird deutlich, woher seine rigorose Haltung rührt. Die jüngste deutsche Vergangenheit steckt allen tief in den Knochen; wie im Westen wird auch im Osten über die schreckliche Zeit beharrlich geschwiegen.
Ein Film über zeitlose Themen
Doch im Zentrum dreht sich der Film um die Jungen und Mädchen, die vor einer schweren Prüfung stehen. Dies rüttelt nicht nur am Selbstbild, sondern auch am Beziehungsgeflecht und am Zusammenhalt der kleinen Gemeinschaft. Lena, die eigentlich mit dem Arbeitersohn Theo liiert ist, imponiert die politische Geradlinigkeit von Kurt, der mit einem SED-Vater zuhause heftige Konflikte auszutragen hat. Theo hingegen ist auch zu einer Notlüge bereit, die den politischen Gehalt der Schweigeminute untergräbt. Das alles nagt an der Freundschaft der Jungen.
Lars Kraume inszeniert die innere Not der jungen Leute in gewohnter Manier mit viel Spannung, Feingefühl und am Ende auch mit ein wenig Pathos. Natürlich wird die DDR als Unrechtsstaat gezeichnet, stehen Kurt, Theo, Lena und die anderen stellvertretend für alle jene, die Opfer des Systems wurden. Aber die Regie interessiert mehr das moralische Dilemma, in das die Jugendlichen hineingezwungen werden. Es geht in „Das schweigende Klassenzimmer“ um Haltung, Integrität und Widerstand und damit letztendlich um zeitlose Themen.