Auf dem DVD-Cover sieht man ihn breit lächeln, den Violinisten Laerte, der in Sérgio Machados Drama als Lehrer und Dirigent ein Jugendorchester in den Favelas von São Paulo auf Vordermann bringen soll. Im Film lernt man Laerte großteils weniger entspannt und fröhlich kennen: Das Leben mit und für die Musik ist, so erzählt es der Film, kein auf Rosen gebettetes. Laerte, furios verkörpert von Lázaro Ramos, scheint von Anfang an förmlich zu vibrieren vor innerem Druck, vor Frustration. Gleich zu Beginn sieht man, wie ihm die eigene Angespanntheit ein Bein stellt: Er vermasselt sein Vorspiel bei der Bewerbung um einen Platz in einem renommierten Orchester, weil er vor lauter Nervosität noch nicht einmal zu spielen beginnen kann. Den Ärger darüber lässt er bei einer Probe mit seinem Quartett an einer Kollegin aus, die darauf wutentbrannt dem Ensemble den Rücken kehrt.
Seinem Vater am Telefon lügt Laerte vor, dass es ihm gutgehe, während sein Versagen bei dem Vorspiel tatsächlich nicht nur an seinem Stolz nagt, sondern auch ein existenzielles Problem ist: irgendwie muss er ja das Geld für die Miete verdienen, und Verdienstmöglichkeiten für Musiker sind rar. Letzteres, nicht etwa pädagogische Berufung, ist denn auch der Grund dafür, dass der Geiger sich auf den schwierigen Job an einer Favela-Schule einlässt. Die Jugendlichen dort, die mit dem Herumgekratze auf ihren Instrumenten förmlich die Milch sauer werden lassen könnten, sind zunächst nur eine weitere Belastung für seine angespannten Nerven.
Doch allmählich fängt Laerte zögerlich Feuer für den Job, entdeckt Talente bei einzelnen Schülern und eine Freude an der Musik, die bei ihm unter dem existenziellen Druck zu verkümmern drohte – und das, obwohl die Lebensumstände seiner Schüler nochmal um einiges schwieriger sind als seine eigenen. Gemeinsam werden Lehrer und Schüler zu einer fragilen Zweckgemeinschaft, um die Jugendlichen fit zu machen für ein wichtiges Vorspiel. Was nicht nur wegen der mangelnden musikalischen Vorbildung der Kids eine heikle Mission ist, sondern auch, weil das Favela-Umfeld immer wieder störend dazwischen funkt: Einige von Laertes Schülern haben mit dem lokalen Drogen-Boss zu tun.
„Das Orchester“ ist durchaus ein typischer „Lehrer“-Film à la „Dangerous Minds“ und „Freedom Writers“ um einen Pädagogen/eine Pädagogin, der/die milieugeschädigten Kindern mittels (oft musischer) Bildung zu einer neuen Perspektive im Leben verhilft. Der Fokus liegt hier aber in besonderem Maße darauf, dass das Lernen keine Einbahnstraße ist, sondern dass auch der Lehrende an seiner Aufgabe wächst und reift. Zwar nimmt sich Machado die Zeit, auch die Hintergründe einiger Schüler zu skizzieren, vor allem ist es aber Laertes Entwicklung, die der Film behandelt. Herausragend ist er dabei nicht nur wegen der rundum überzeugenden Leistung seines Hauptdarstellers, sondern auch wegen des Mutes, sein Sujet vergleichsweise ehrlich anzugehen: „Das Orchester“ ist kein Feel-Good-Sozialmärchen, in dem ein Lehrer Kraft der Musik junge Menschen dazu beflügelt, über sich selbst und die eigenen Verhältnisse hinauszuwachsen. Es ist ein berührendes Drama darüber, warum es sich als großes „Trotzdem“ auch dann lohnt, sich musisch zu bilden, wenn es keinen neuen Menschen aus einem macht, keinen handfesten Gewinn und keinen sozialen Aufstieg mit sich bringt – sondern nur die kleinen, vergänglichen Glücksmomente, die sich einstellen, wenn aus dem Chaos zahlreicher Instrumente doch einmal Harmonie wird.
Dass die Probleme in den Favelas viel zu groß sind, als dass man sie mit ein paar Instrumenten und einem guten Lehrer einfach so überwinden könnte, versucht Machado an keiner Stelle zu beschönigen. Und doch macht sein Film (auch dank des mitreißenden Soundtracks aus klassischer Musik und Latino-Rhythmen) trotz aller Härten Hoffnung, dass auch kleine Widerstände gegen deprimierende Realitäten, wie etwa ein gelungenes Konzert, langfristig den Samen für ein anderes Leben legen könnten – weil sie zumindest die Sehnsucht danach lebendig halten.