Vor einigen Jahren errang der Film „The Room“ (2003) von Tommy Wiseau eine gewisse Berühmtheit, weil der durch stümperhaftes Spiel, unlogische Dialoge, technische Pannen und ein gelinde gesagt „merkwürdiges“ Geschlechterbild ins Schillern kam. Die haarsträubende Dreiecksgeschichte über einen von Wiseau gespielten Banker, seine Verlobte und einen besten Freund genießt den Ruf, zu den schlechtesten Filmen aller Zeiten zu zählen; auf Youtube kursieren diverse Zusammenschnitte (Top 10 WTF Moments) und Mashups (Star Wars with Tommy Wiseau). Insbesondere wegen des bizarren Hauptdarstellers Tommy Wiseau, einem Hünen mit langen schwarzen Haaren und einer ganzen Reihe von Verhaltensauffälligkeiten, etwa der kaum geöffnete Mund beim Sprechen oder ein seltsam roboterhaftes „Ha, ha, ha“-Lachen, entwickelte sich „The Room“ auch über die USA hinaus zu einem Kultfilm. In Mitternachts-Vorführungen wird er in Los Angeles noch immer gespielt.
„The Disaster Artist“ erzählt die Geschichte von Tommy Wiseau und der Entstehung des Films als Komödie mit leicht tragischer Schlagseite. Vorlage sind die gleichnamigen Erinnerungen des Schauspielers Greg Sestero, der in der Rolle des besten Freundes an „The Room“ mitwirkte, sowie eines Vertrauten von Wiseau. James Franco, der den Regisseur und Schauspieler selbst mimt, behält die Erzählperspektive des Buchs bei. So erscheint Wiseau bis zuletzt als enigmatische Figur, die nur durch den Außenblick vermittelt wird.
Der Film beginnt 1993 in San Francisco. Greg Sestero ist ein schüchterner Schauspielschüler, der nicht aus sich herauskann. Ganz anders Tommy Wiseau. Der trägt Rocker-Kluft, schreit herum, wälzt sich auf dem Boden, macht ekstatische Posen und schüttelt wild seine prachtvolle Mähne, bevor er einen Stuhl über die Probebühne schmeißt. Die beiden so unterschiedlichen Typen freunden sich an; Greg geht bei Tommy, der sich nichts aus den Erwartungen anderer zu machen scheint ( „Ich bin mein eigener Planet“) gewissermaßen in die Schule. Er spielt sich frei und lernt, an sich zu glauben. Die beiden Freunde beschließen, nach Los Angeles zu ziehen, um in der Hollywood-Industrie ihr Glück zu versuchen.
Während Sestero eine Agentur findet, löst Wiseaus Auftreten dort hingegen schwere Irritationen aus. Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Dracula attestiert man ihm zwar ein gewisses Charisma, doch niemand kann einen Funken Talent in ihm erkennen. Wiseau versteht die Welt nicht mehr, und die Welt versteht Wiseau nicht. Einmal belästigt er in einem Restaurant einen bekannten Produzenten, indem er ihm ungefragt eine Szene aus Shakespeare vorspielt. Angewidert prophezeit ihm der, dass er niemals Karriere machen werde, „nicht in einer Million Jahren“. Daraufhin fragt Wiseau gutgläubig: „Und danach?“
Wiseau will deshalb einen eigenen Film drehen, nach seinem eigenen Drehbuch, mit ihm in der Rolle des tragischen Helden. Geld hat er, auch wenn niemand weiß, woher; sein Alter und seine Herkunft (Polen vielleicht?) bleiben ein Geheimnis. Wiseaus Dilettantismus ist beispiellos. Er dreht den Film auf 35mm und zugleich digital; das Equipment leiht er nicht aus, er kauft es! Wobei seine Unwissenheit schamlos ausgenutzt wird. Im Hauptteil ist „The Disaster Artist“ eine Film-im-Film-Komödie, in der James Franco aufdreht. Wiseau leistet sich Allüren (ein eigenes Klo), seine Regieanweisungen sind wirr, auch kann er sich kaum zwei zusammenhängende Sätze merken. Am Ende verschluckt „The Room“, für den sich alle Beteiligten schon während der Produktion in Grund und Boden schämen, 5 Millionen Dollar. Bei der desaströsen Premiere deutet sich die Kultwerdung des Films allerdings schon an: Fremdscham verwandelt sich in befreites Gelächter.
„The Disaster Artist“ erzählt den Evergreen des amerikanischen Traums, der sich für Wiseau durch den Kultstatus seiner Person schließlich doch noch realisiert hat. Durch Francos perfekte Mimesis, der die Vorlage bis ins kleinste Detail, von der Stimmmodulation, dem leicht osteuropäischen Akzent bis hin zu den gestischen und mimischen Manierismen perfekt trifft, funktioniert die Wiseau-Figur wie ein brillanter Spezialeffekt. Wiseaus rätselhafte Ikonizität – alles an ihm ist unauthentisch, fabriziert, er ist immer schon ein Bild – trägt den Film. Die Inszenierung räumt aber auch der Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft Raum ein, einer Verbindung, die Züge einer Liebesgeschichte trägt; Tommy nennt seinen Freund zärtlich „baby face“. Als Greg mit einer Kellnerin anbandelt und aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, führt das zu Eifersuchtsszenen. Ähnlich wie die tölpelhaft-machistische Figur in „The Room“ sieht sich auch Wiseau von allen verlassen und verraten.
Es mag vielleicht undankbar sein, „The Disaster Artist“ ausgerechnet an seinen erfolgreichsten Punkten zu kritisieren. Der Film ist witzig, seine Hauptfigur kurios. Er macht Spaß! Wenn man aber „The Room“ als Vergleich heranzieht und den echten Wiseau, wird sofort ein anderer Film vorstellbar: einer, der nicht alles, was an dieser Figur unberechenbar, megaloman und unauflösbar ist, in eine Pointe oder in ein sentimentales Moment übersetzt. Der die Gefühle, die diese Gestalt auslöst, auch mal an die Grenzen des Ungemütlichen und Ambivalenten treibt. Mit Franco/Wiseau als Motor läuft „The Disaster Artist“ wie eine gut geölte Maschine, alles passt und funktioniert wunderbar. Man kann auch sagen: Die Figur wird domestiziert und zurechtgestutzt. Es gibt nichts auszuhalten in „The Disaster Artist“.