Als der Sohn ein leeres Bett vorfindet, gerät er völlig außer sich. Mit besten fürsorglichen Absichten meint er, dass seine betagten Eltern angesichts ihres Gesundheitszustands unter Kontrolle bleiben müssen. Doch sollen die Alten in ihrem gemütlichen Häuschen etwa Däumchen drehen und auf den Tod warten?
Die agile Mutter hat alles trefflich organisiert. Ella Spencer will mit ihrem Mann noch einmal so Urlaub machen, wie sie einst jeden Sommer losgefahren sind. Er, der ehemalige Lehrer, betrachtete derartige Unternehmungen immer als Bildungsreise, sie hingegen wollte einfach nur Spaß. Mit großer Freude stellen sie fest, dass John trotz seiner Demenz noch immer ein exzellenter Autofahrer ist. Vor ihnen liegt eine „Open Road“, der uramerikanische Traum. Frei und unabhängig mit dem Wohnmobil durch die Lande zu ziehen, sich an gemeinsam Erlebtes, vielleicht sogar wilde Zeiten zu erinnern, und zum Sehnsuchtsort in den Süden reisen, dem Haus von Ernest Hemingway in Key West, Florida, was schon auf das eigentliche Ziel ihres Urlaubs vorausweist.
Paolo Virzìs „Das Leuchten der Erinnerung“ handelt von Liebe, von Überforderung und Selbstbestimmung, Selbstmord und Liebestod und schließt damit thematisch an „Liebe“ (fd 41 266) von Michael Haneke an. Doch Virzì kreiert eine völlig andere Atmosphäre als Haneke, eine wehmütig-heitere Stimmung, wenngleich sein Film am Ende ebenso zu Diskussionen herausfordert. Virzì spürt der Beziehung des gemeinsam alt gewordenen Paars nach, bei dem sich Vertrautheit inzwischen mit Befremden mischt, Lachen mit Weinen, da Johns Gedächtnis immer größere Löcher aufweist. Mit dem Verlust gemeinsamer Erinnerungen schwinden auch die Bezugspunkte für Gespräche, fürs partnerschaftliche Reflektieren des Lebens, vom Guten wie Schlechten oder dem, was nach dem Tod kommt.
Als eine Art rhetorische Stilfigur gibt dieser scheinbare Stimmungswiderspruch dem Film seinen Grundton vor; daraus bezieht die Inszenierung eine geradezu spielerische Eleganz, die sich in den pointierten, realitätsnahen Dialogen und dem großartigen Zusammenspiel von Helen Mirren und Donald Sutherland niederschlägt. Passenderweise hat Virzì für die Geschichte das Genre des Road Movie gewählt. In dieser die Sozialität und die Fremde gleichermaßen wertschätzenden Erzählform begegnen die Reisenden in anderen Menschen, an Schauplätzen oder in der Natur immer sich selbst. Meistens steht das Genre im Zeichen jugendlichen Aufbruchs, der Sehnsucht, an neue Ufer anzulegen, um am Ende gewandelt, erwachsener zurückzukehren; bei Virzì aber gibt es keine derartige Rückkehr, nur eine Heimkehr im metaphysischen Sinn. Sein Paar reist in seine Vergangenheit zurück, ähnlich wie John im Geiste immer jünger und kindlicher wird, bis das Paar vor der Weite eines glatten Meers steht und John sich schon im Paradies wähnt.
Mit ihrem Wohnmobil gelangen Ella und John nur deshalb nach Florida, weil sie immer wieder Brücken überqueren, deren Architektur die Kamera von Luca Bigazzi wirkungsvoll in Szene setzt. Die Brücken symbolisieren die Schwelle, den schrittweisen Übergang, das Abschiednehmen von der Familie, vom persönlichen Leben und zuletzt auch voneinander als Paar. Die Fluten versinnbildlichen Johns voranschreitende Demenz, die letztlich auch eine Kluft zwischen ihm und Ella aufreißt: John erkennt Ella nicht mehr, verwechselt sie mit einer anderen Frau und stellt damit ahnungslos nicht nur die Gegenwart, sondern auch die gemeinsame Vergangenheit von sich und seiner Frau in Frage. Unklar ist, ob John dabei seine Gedächtnislücken mit falschen Erinnerungen und Fantasien ausfüllt oder nicht. Dieser schmerzhafte Moment der Entfremdung lässt einen gruseln. Er macht aber im Vorgriff auf das tragische Finale auch deutlich, wie fragwürdig es ist, über das Leben eines Menschen zu bestimmen, der darüber selbst nicht mehr entscheiden kann.