Drama | Frankreich/Deutschland/Österreich 2012 | 127 Minuten

Regie: Michael Haneke

Ein altes Ehepaar aus Paris ist sich auch nach vielen Jahrzehnten noch in Liebe zugetan. Als die Frau einen Schlaganfall erleidet, beginnt sich ihr gemeinsames Leben entscheidend zu ändern. Das meisterlich inszenierte Kammerspiel fasst nüchtern die Unausweichlichkeit des Todes ins Auge, ohne die Grenze zur Sentimentalität zu überschreiten. Eine von großartigen Darstellern getragene, radikale Apologie der Empathie, überraschend altersmilde, kämpferisch und zurückhaltend zugleich. Der tief berührende Film über die Liebe und die Vergänglichkeit der menschlichen Natur ist eine für viele Auslegungen offene Meditation über das Ende, bar aller Illusionen, gleichwohl getragen von einer Würde, die auch das provokante Finale trägt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AMOUR
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Les Films du Losange/X-Filme Creative Pool/Wega Film/France 3 Cinéma/ARD Degeto/WDR/BR
Regie
Michael Haneke
Buch
Michael Haneke
Kamera
Darius Khondji
Schnitt
Monika Willi · Nadine Muse
Darsteller
Jean-Louis Trintignant (Georges) · Emmanuelle Riva (Anne) · Isabelle Huppert (Eva) · Alexandre Tharaud (Alexandre) · William Shimell (Geoff)
Länge
127 Minuten
Kinostart
20.09.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein interessantes "Making of" (25 Min.).

Verleih DVD
X-Filme/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz./dt.)
Verleih Blu-ray
X-Filme/Warner (16:9, 1.85:1, dts-HDMA frz./dt.)
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Diskussion
Der ebenso schlichte wie pathetische Titel „Liebe“ verursacht erwartungsvolle Schauer, führt aber zunächst in die falsche Richtung. In Michael Hanekes Film geht es um nichts weniger als den körperlichen Verfall, um die Formen der Liebe in einem Alter, in dem sich das Begehren bei den meisten längst verabschiedet hat. Die erste Szene nimmt das Ende jeder Existenz vorweg: Eine Tür muss aufgebrochen werden, im Treppenhaus hängt Verwesungsgeruch. Die Polizei findet eine alte Frau vor, umrankt von Blumen auf einem Bett. Das Fenster steht weit offen. Hat ihr Mann das Tor zu einem selbstbestimmten Ende gewählt? Wie es dazu kam, erzählt der Rest in bei Haneke gewohnt kühl kadrierten Bildern. Die still beobachtende Kamera gleitet durch die große Pariser Wohnung mit holzvertäfelten Wänden und weiten Flügeltüren wie ein unsichtbarer Eindringling, der sich an der eingefangenen Intimität die Finger zu verbrennen droht. Die gnadenlos erloschene Lebenszeit tut weh, erweist sich aber nur als Vorspiel für ein viel elenderes Sterbedrama. Wenige Schnitte weiter ist die von Emmanuelle Riva verkörperte Tote wieder lebendig. Sie sitzt an der Seite von Jean-Louis Trintignant und lauscht einem Konzert. Hin und wieder wirft sie ihm vertraute Blicke zu. Ein Ausflug in die Öffentlichkeit, der sich nicht mehr wiederholt. Zurück in der Wohnung begnügt sich die Inszenierung von da an mit dem eng gesetzten Radius eines Kammerspiels. Das passt zum begrenzten Handlungsspielraum des Paars, das sich freiwillig zu isolieren beginnt. Frühere Interessen üben keine Anziehungskraft mehr aus. Das Bewusstsein für die Konturen der eigenen Person wird schwächer. Sanft eingestreute Ellipsen verweisen auf eine Krankheit, die den Alltag der beiden Musikprofessoren im Ruhestand urplötzlich verändert. Die 80-jährige Frau erleidet einen Schlaganfall. Die halbseitige Lähmung bringt das fragile Gewicht ihrer Symbiose durcheinander. Der Kontrollverlust macht auch vor der bürgerlichen Fassade keinen Halt, der peinlich funktionsuntüchtige Körper übernimmt von nun an das Kommando. Zuerst ist das Gehen nicht mehr möglich. Dann weicht der Rollstuhl dem Bett. Dazwischen fehlt der Mut zum Selbstmord. Der Mann entlässt die unsensible Pflegerin und springt für sie ein: Windeln wechseln, füttern, Bettlaken waschen, vorsingen. In dieser minutiösen Beobachtung des Krankheitsverlaufs ähnelt „Liebe“ dem Sterbedrama „Halt auf freier Strecke“ (fd 40 750), nur dass bei Andreas Dresen die Ungerechtigkeit eines tödlichen Tumors verfrüht zuschlägt, während Haneke sein Augenmerk nüchtern auf die Unausweichlichkeit des Todes im Alter richtet, eine Lebensphase, die in den vom Jugendwahn heimgesuchten westlichen Gesellschaften zunehmend mit einem Tabu belegt wird. Ein Altersheim kommt für die beiden nicht in Frage. Der Respekt, den der bedingungslos Liebende seiner Frau auf ihrem letzten Weg entgegenbringt, zeugt von einer tiefen, über Jahrzehnte gelebten Verbundenheit. Eine unerwartete Ode auf die romantische Liebe von einem Regisseur, der bisher wenig Glaube an das Gute im menschlichen Charakter zeigte und lieber seine tiefenpsychologischen Abgründe in ihren unzähligen Facetten sezierte. Isabelle Huppert muss sich mit einem Kurzauftritt begnügen. Als im Ausland lebende Tochter versucht sie die Abwärtsspirale anzuhalten und scheitert kläglich. Zu groß ist die Distanz, die sich in das Verhältnis der Generationen eingeschlichen hat. Ihre kurzen Besuche reichen nicht aus, um in das Innere ihrer in einer eigenen Welt lebenden Eltern vordringen zu können. Der Vater weist sie an, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern, der Zustand der Mutter gehe nur ihn etwas an. Die Maxime, bis dass der Tod uns scheidet, ist für ihn keine leere Floskel. Seine Vorstellung von der Liebe ist nach heutigen Maßstäben entweder ungewohnt konservativ oder fast schon wieder modern. Das eigentliche Schauspiel sind aber die vielen Momente des Abschieds, der kaum merklichen Interaktion, die sich in den ausdrucksstarken Gesichtern der großartigen Darsteller spiegeln, der Kampf um die Würde einer ihrer früheren Identität beraubten Kranken, für die das Umfeld das Gespür verloren zu haben scheint. Emotion folgt auf Emotion, Panik auf Wehmut, Zärtlichkeit auf Verzweiflung, Geduld auf Wut und Widerstand, ein ruhiger Fluss letzter Gewissheiten, der die Grenze zur Sentimentalität nie überschreitet und dem Tod seinen Schrecken nimmt. Ein großer Schauspielerfilm, eine radikale Apologie der Empathie, ein überraschend altersmilde, kämpferisch und zugleich zurückhaltend gestimmter Haneke.
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